Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
eingewandt - wir sind hier in England, Helg, nicht im supertüchtigen Deutschland -, was ist, wenn sie besetzt ist, wenn du anrufst? Aber Helga hatte es abgelehnt, auf diese Einwände einzugehen: Tu genau, was ich dir sage, alles andere überlasse mir! Also fuhr sie ganz brav an der Gloucester Road los und setzte sich nach oben; doch statt den ersten Bus nach halb acht zu nehmen, bekam sie schon den um zwanzig nach sieben. In der U-Bahn-Station Tottenham Court Road hatte sie Glück; sie kam gerade auf den Bahnsteig für die nach Süden fahrenden Züge, als ein Zug einlief, und so musste sie am Bahnhof Embankment wie ein Mauerblümchen warten, bis sie ein letztes Mal umstieg. Es war Sonntag morgen, und abgesehen von einigen wenigen, die keinen Schlaf fanden, und ein paar Kirchgängern war sie der einzige Mensch in ganz London, der auf war. Als sie die City erreichte, war diese leergefegt, und sie brauchte nur die Straße zu suchen, da sah sie auch schon hundert Schritt weiter -genauso, wie Helga gesagt hatte - die Telefonzelle, die sie begrüßte wie ein Leuchtturm. Sie war leer.
    »Erst gehen Sie die Straße bis zum Ende hinunter, dann machen Sie kehrt und kommen zurück«, hatte Helga gesagt. Gehorsam ging sie also erst einmal an der Telefonzelle vorüber und stellte fest, dass sie nicht allzu demoliert aussah; inzwischen war sie jedoch zu dem Schluss gekommen, dass es ein aberwitzig auffälliger Platz war, um dort herumzustehen und auf Anrufe von internationalen Terroristen zu warten. Sie kehrte um und ging wieder zurück, und zu ihrem großen Verdruss betrat ausgerechnet in diesem Moment vor ihr ein Mann die Zelle und zog die Tür hinter sich zu. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr: noch zwölf Minuten bis zur verabredeten Zeit, also kein Grund zur Aufregung. Sie nahm ein paar Schritt weiter Aufstellung und wartete. Er trug eine Schirmmütze wie ein Fischer und eine Fliegerjacke aus Leder mit Pelzkragen, zuviel für einen so drückenden Tag. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und redete nonstop italienisch. Daher braucht er die pelzgefütterte Jacke, dachte sie: sein südliches Temperament mag unser Klima nicht. Charlie selbst trug die Kleider, die sie angehabt hatte, seit sie den jungen Matthews bei Als Party abgeschleppt hatte: alte Jeans und ihre tibetanische Jacke. Sie hatte sich das Haar gekämmt, aber nicht gebürstet; sie fühlte sich bedrückt und gehetzt und hoffte, auch so auszusehen.
    Noch sieben Minuten. Der Mann in der Telefonzelle ließ einen dieser leidenschaftlichen italienischen Monologe vom Stapel, bei denen es ebenso gut um unerwiderte Liebe wie um die Situation an der Mailänder Börse gehen konnte. Nervös fuhr Charlie sich mit der Zunge über die Lippen und blickte die Straße auf und ab, doch nichts regte sich - keine unheimlichen schwarzen Limousinen oder Männer in Hauseingängen; und auch kein roter Mercedes. Das einzige Auto weit und breit war ein ziemlich mitgenommener kleiner Lieferwagen mit Wellblechverkleidung an den Seiten und offener Fahrertür, der direkt vor ihr stand. Trotzdem hatte sie mehr und mehr das Gefühl, sehr nackt zu sein. Es wurde acht, von einer erstaunlichen Vielfalt von weltlichen und religiösen Glockentönen verkündet. Fünf nach acht, hatte Helga gesagt. Der Mann hatte aufgehört zu sprechen, doch sie hörte das Geklimper von Kleingeld in seinen Taschen, als er nach mehr dann herumsuchte. Dann hörte sie ein leichtes Klopfen, mit dem er ihre Aufmerksamkeit zu erregen suchte. Sie drehte sich um und sah ihn mit bittendem Blick ein Fünfzig-Pence-Stück in die Höhe halten.
    »Können Sie mich nicht erst vorlassen?« sagte sie. »Ich hab’s eilig.« Aber er verstand kein Englisch.
    Soll’s doch der Teufel, dachte sie; dann muss Helga eben so lange wählen, bis es klappt. Schließlich habe ich sie genau davor gewarnt. Sie ließ den Trageriemen ihrer Handtasche von der Schulter gleiten, die Tasche aufschnappen und fingerte im Seitenfach nach Zehnern und Fünfern, bis sie fünfzig Pence zusammenhatte. Himmel, wie verschwitzt meine Finger sind. Mit den feuchten Fingern nach unten, streckte sie ihm die geschlossene Hand entgegen, um dem Italiener das Kleingeld in die dankbare Hand fallen zu lassen - und sah, dass er aus den Falten seiner Fliegerjacke heraus eine kleine Pistole genau auf die Stelle gerichtet hatte, wo Brustkorb und Bauch zusammentreffen: eine überzeugendere Geste ließ sich kaum vorstellen. Keine große Waffe, obwohl Pistolen sehr viel größer

Weitere Kostenlose Bücher