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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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verstanden, was Sie meinen.«
    »Wonach soll ich suchen? Wann werden Sie zufrieden sein?«
    »Charlie, wir sind schon jetzt mehr als zufrieden«, sagte Marty liebenswürdig, und sie wusste, dass er Ausflüchte machte. »Das, worum es uns geht, ist ein Mann«, sagte Joseph unvermittelt, und sie sah, wie Martys Kopf zu ihm herumfuhr, bis sie sein Gesicht nicht mehr sehen konnte. Aber Josephs Gesicht konnte sie sehen, und sein eindringlicher Blick, mit dem er Martys begegnete, war von einer trotzigen Offenheit, die sie bisher noch nicht bei ihm erlebt hatte.
    »Charlie, unser Ziel ist ein Mann«, gab Marty schließlich zu und wandte sich wieder ihr zu. »Wenn Sie weitermachen, müssen Sie sich darüber im klaren sein.«
    »Khalil«, sagte sie.
    »Richtig, Khalil«, sagte Marty. »Khalil steht an der Spitze ihrer ganzen europäischen Organisation. Er ist der Mann, den wir haben müssen.«
    »Er ist gefährlich«, sagte Joseph. »Er ist so gut, wie Michel schlecht war.«
    Vielleicht um ihn auszumanövrieren, knüpfte Kurtz an diesen Gedanken an. »Khalil hat keinen Menschen, auf den er sich verlässt, keine feste Freundin. Er schläft niemals zwei Nächte hintereinander im selben Bett. Er hat sich von den Menschen gelöst, hat seine Grundbedürfnisse auf ein Minimum beschränkt, so dass er fast unabhängig ist. Ein Mann, der außerordentlich, klug vorgeht«, schloss Kurtz und bedachte sie mit einem besonders nachsichtigen Lächeln. Doch als er sich eine neue Zigarre anzündete, erkannte sie am Zittern des Streichholzes, dass er sehr ärgerlich war. Warum schwankte sie nicht?
    Eine ungewöhnliche Ruhe hatte sich ihrer bemächtigt, eine Klarheit - des Gefühls, wie sie sie bisher noch nie erlebt hatte. Joseph hatte nicht mir ihr geschlafen, um sie fortzuschicken, sondern um sie zurückzuhalten. Er durchlitt für sie all die Ängste und Befürchtungen, die eigentlich sie haben sollte. Trotzdem wusste sie, dass in diesem geheimen Mikrokosmos, bei dieser Existenz, die sie für sie geschaffen hatten, jetzt einen Rückzieher zu machen, bedeutete, für immer auszusteigen; dass eine Liebe, die sich nicht weiterentwickelte, sich niemals erneuern konnte; sie konnte nur in die Grube der Mittelmäßigkeit stürzen, der auch Charlies andere Lieben ausgeliefert waren, seitdem sie ihr Leben mit Joseph begonnen hatte. Die Tatsache, dass er wollte, dass sie aufhörte, hielt sie nicht zurück; im Gegenteil, sie bestärkte sie in ihrem Entschluss. Sie waren Partner. Sie waren ein Liebespaar. Sie waren einem gemeinsamen Schicksal, gemeinsamem Vorwärtsgehen verbunden.
    Sie fragte Kurtz, woran sie das Wild, das Opfer erkennen könne. Ob er aussehe wie Michel? Marty schüttelte den Kopf und lachte. »Ach, meine Liebe - er hat sich unseren Fotografen nie gestellt.« Während Joseph bewusst von ihm weg auf das verrußte Fenster starrte, stand Kurtz schnell auf und holte aus einer alten schwarzen Aktentasche, die neben seinem Lehnsessel gestanden hatte, etwas heraus, das wie eine dicke Kugelschreibermine aussah, die an einem Ende angewürgt war und aus der zwei rote Drähte wie die Fühler eines Hummers herausguckten.
    »Das hier nennen wir einen Zünder, meine Liebe«, erklärte er und tippte mit seinem knubbeligen Finger munter auf die Patrone. »Hier am Ende ist der Mündungspfropfen, und in diesen Mündungspfropfen führen die beiden Drähte. Ein Stückchen von dem Draht braucht er. Das, was übrig bleibt, legt er so zusammen.« Er holte eine kleine Drahtzange aus der Aktenmappe hervor, knipste nacheinander die Drähte ab, so dass noch etwa vierzig Zentimeter daran blieben. Dann wand er den Rest des Drahtes mit einer flinken, geübten Bewegung zu einem säuberlichen Strang zusammen und wickelte das letzte Stück wie einen Gürtel darum. Darauf gab er es ihr in die Hand. »Dies Püppchen ist für uns seine Signatur. Früher oder später hat jeder eine Signatur. Das ist seine.«
    Sie ließ es sich von ihm wieder aus der Hand nehmen. Joseph hatte eine Adresse für sie, wo sie hingehen konnte. Die kleine Dame in Braun brachte sie an die Tür. Charlie trat auf die Straße und stellte fest, dass bereits ein Taxi auf sie wartete. Es war früher Morgen, und die Spatzen fingen an zu tschilpen.

Kapitel 20

    Sie machte sich früher auf den Weg, als Helga ihr gesagt hatte, teils weil sie sich leicht unnötig Sorgen machte und teils weil sie sich bewusst mit dicker Skepsis gegen den ganzen Plan gewappnet hatte. Was, wenn es nicht funktioniert? hatte sie

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