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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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kleinen Bewohner. An einer Wand hingen Pläne der Londoner Innenstadt; an der anderen stand ein Sideboard mit zwei Telefonen. Ein unbenutztes Klappbett nahm eine dritte Wand ein, und an der vierten stand ein Kiefernholzschreibtisch mit einer alten Lampe darauf. Neben den Telefonen blubberte eine Kaffeemaschine, und im Kamin brannte ein Feuer. Marty stand nicht auf, als sie hereinkam, sondern wandte den Kopf zu ihr um und schenkte ihr das herzlichste und schönste Lächeln, mit dem er sie je bedacht hatte, doch vielleicht meinte sie das auch nur, weil sie selbst die Welt so freundlich sah. Er streckte die Arme nach ihr aus, und sie beugte sich über ihn und ließ sich ausgiebig väterlich von ihm umarmen: meine Tochter, von ihren Reisen zurück. Sie saß ihm gegenüber, während Joseph im Schneidersitz auf den Boden hockte wie ein Araber, so, wie er auf der Hügelkuppe gesessen hatte, als er sie zu sich heruntergezogen und ihr einen Vortrag über die Pistole gehalten hatte. »Wollen Sie sich mal selbst hören?« lud Kurtz sie ein und zeigte auf ein neben ihm stehendes Bandgerät. Sie schüttelte den Kopf. »Charlie, Sie waren hinreißend. Nicht die Drittbeste und auch nicht die Zweitbeste, sondern ganz unbestreitbar die Beste, die es je gab.« »Er schmeichelt dir«, warnte Joseph sie, aber er meinte das nicht komisch.
    Eine kleine braungekleidete Dame kam, ohne anzuklopfen, herein, und es ging darum, wer Zucker nahm und wer nicht.
    »Charlie, es steht Ihnen frei auszusteigen«, sagte Kurtz, nachdem sie wieder gegangen war. »Joseph besteht darauf, dass ich Sie laut und deutlich darauf hinweise. Gehen Sie jetzt, und Sie gehen mit Ehren. Stimmt’s, Joseph? Viel Geld und viel Ehr’. Alles, was wir Ihnen versprochen haben, und noch mehr.« »Ich hab’s ihr schon gesagt«, erklärte Joseph. Sie sah, dass Kurtz’ Lächeln breiter wurde, um seine Verwirrung zu verbergen. »Natürlich hast du es ihr gesagt, Joseph, aber jetzt sage ich es ihr noch mal. Möchtest du nicht, dass ich das tu’? Charlie, Sie haben für uns den Deckel einer Büchse voller Würmer gelüftet, hinter denen wir schon seit langer Zeit her sind. Sie haben mehr Namen und Orte und Verbindungen für uns aufgedeckt, als Sie wissen, und es werden sich noch mehr daraus ergeben, ob Sie nun weitermachen oder nicht. In Ihrer näheren Umgebung sind Sie immer noch sauber, und wenn irgendwo Dreck ist - nun, geben Sie uns ein paar Monate Zeit, und wir bereinigen das für Sie. Wir ziehen Sie eine Zeitlang aus dem Verkehr, damit die Dinge sich abkühlen. Nehmen Sie einen Freund oder eine Freundin mit - wenn Sie das möchten, Sie haben ein Recht darauf, es zu tun.«
    »Er meint es ernst«, sagte Joseph. »Sag nicht einfach, du machst weiter. Überleg es dir genau!« Wieder fiel ihr eine gewisse Gereiztheit an Martys Stimme auf, als er sich an seinen Untergebenen wandte:
    »Selbstverständlich meine ich es ernst, und wenn ich es nicht ernst meinte - dies wäre der letzte Augenblick auf Erden, damit zu liebäugeln, es nicht ernst zu meinen«, sagte er und schaffte es am Ende noch, seine scharfe Erwiderung in einen Witz zu verwandeln.
    »Wo stehen wir denn?« fragte Charlie. »Was ist es denn für ein Augenblick?«
    Joseph wollte etwas sagen, doch Marty fiel ihm wie einem schlechten Autofahrer ins Steuer. »Charlie, in dieser Sache gibt es ein Oben und ein Unten. Bis jetzt haben Sie sich oben bewegt, es aber trotzdem fertig gebracht, uns zu zeigen, was weiter unten vorgeht. Aber von jetzt an - nun, könnte alles ein wenig anders laufen. So sehen wir das jedenfalls. Könnte sein, dass wir uns irren, aber zumindest deuten wir die Zeichen so.« »Er meint damit, dass du bis jetzt in Freundesland gewesen bist. Wir haben in deiner Nähe sein können, wir hätten dich herausholen können, falls das nötig gewesen wäre. Doch damit ist es jetzt vorbei. Du wirst eine der ihren sein. Teilst ihr Leben. Ihre Denkweise, ihre Verhaltensnormen. Könnte sein, dass du wochen-, ja monatelang ganz auf dich allein gestellt bist.«
    »Vielleicht nicht völlig auf dich allein gestellt, aber du könntest uns nicht erreichen, das stimmt wohl im großen und ganzen«, räumte Marty ein. Er lächelte, doch er lächelte nicht Joseph an. »Aber wir werden in der Nähe sein, Sie können auf uns zählen.«
    »Zu welchem Zweck?« fragte Charlie.
    Marty schien vorübergehend verwirrt. »Was für ein Zweck, meine Liebe - der Zweck, der diese Mittel heiligt? Ich glaube, ich habe nicht richtig

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