Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
hörte einen Fetzen Musik, als er mit ihrem kleinen Radiowecker herumspielte, dann das Klicken, als er ihn hinstellte. Diesmal hüten wir uns vor faulen Tricks , hatte Joseph gesagt. Diesmal nimmst du dein eigenes Radio mit, kein Austauschgerät. Sie hörte, wie er ihr Notizbuch durchblätterte und dabei paffte. Jetzt fragt er mich gleich, was »nicht einsatzfähig« bedeutet, dachte sie. Sehe in... treffe in... Liebe in... ATHEN!!... Er fragte sie nichts. Sie hörte ein Grunzen, als er sich dankbar auf das Sofa setzte; sie hörte, wie sein Hosenboden auf straff gespannten Chintz knisterte. Ein dicklicher Mann, der teures Körperöl benutzt, handgearbeitete Schuhe trägt und eine Havanna-Zigarre raucht, setzt sich dankbar auf ein Nuttensofa. Die Dunkelheit wirkte hypnotisch. Sie hatte die Hände immer noch auf dem Schoß verschränkt, doch gehörten sie jemand anders. Sie hörte, wie ein Gummiband schnappte. Die Briefe. Wir werden sehr böse werden, wenn Sie die Briefe nicht mitbringen. Cindy, du hast eben deine Musikstunden bezahlt. Wenn du eine Ahnung gehabt hättest, wohin ich wollte, als ich bei dir vorbeikam! Wenn ich es nur gewusst hätte!
    Die Dunkelheit erboste sie nachgerade. Wenn sie mich einsperren, dann gnade mir Gott - Klaustrophobie ist das Schlimmste bei mir. Im Geist sagte sie sich eine Stelle aus einem Gedicht von T.S. Eliot auf, etwas, das sie in der Schule in dem Jahr gelernt hatte, als sie geflogen war: darüber, dass die gegenwärtige Zeit und die vergangene Zeit in der zukünftigen Zeit enthalten seien. Darüber, dass alle Zeit ewig gegenwärtig sei. Sie hatte das damals nicht verstanden und verstand es auch jetzt nicht. Gott sei Dank, dass ich Whisper nicht genommen habe, dachte sie. Whisper war ein ulkiger schwarzer Jagdhund, der auf der Straßenseite gegenüber von ihr wohnte und dessen Besitzer ins Ausland gehen wollten. Sie stellte sich vor, Whisper sitze neben ihr und habe auch eine schwarze Brille auf.
    »Sie sagen uns die Wahrheit, wir lassen Sie am Leben«, sagte eine Männerstimme leise. Es war Michel! Fast. Michel, lebt fast wieder! Es war Michels Akzent, Michels schöner Sprachrhythmus, Michels volltönende, träge Stimme, die kehlige Aussprache.
    »Sie sagen uns alles, was Sie ihnen gesagt haben, was Sie schon für sie getan haben, wie viel sie Ihnen bezahlen, und es ist okay. Wir verstehen es. Wir lassen Sie laufen.«
    »Halten Sie den Kopf still«, fuhr Helga sie von hinten an. »Wir glauben nicht, dass Sie ihn verraten haben - was man normalerweise unter Verrat versteht, okay? Sie haben es mit der Angst bekommen, haben sich zu sehr eingelassen, also gehen Sie jetzt auf sie ein und tun, was sie von Ihnen verlangen. Okay, das ist natürlich. Wir sind keine Unmenschen. Wir bringen Sie hier raus, lassen Sie irgendwo am Rande der Stadt frei, und Sie erzählen ihnen alles, was hier mit Ihnen passiert ist. Auch dagegen haben wir nichts. Solange Sie alles sagen.«
    Er seufzte, als würde das Leben für ihn zur Last. »Vielleicht sind Sie irgendeinem netten Polizisten hörig geworden, ja? Sie tun ihm einen Gefallen. Für so was haben wir Verständnis. Wir sind unserer Sache verpflichtet, aber wir sind keine Psychopathen. Ja?«
    Helga war ärgerlich. »Verstehen Sie ihn, Charlie? Antworten Sie, oder Sie werden bestraft.« Sie antwortete absichtlich nicht.
    »Wann sind Sie zum ersten Mal zu ihnen gegangen? Sagen Sie es mir! Nach Nottingham? York? Es spielt keine Rolle. Sie sind zu ihnen gegangen. Einverstanden. Sie bekamen es mit der Angst, Sie sind zur Polizei gelaufen. ›Dieser verrückte Araber versucht, mich als Terroristin anzuwerben. Retten Sie mich, ich tu’ alles, was Sie sagen.‹ War es so? Hören Sie, wenn Sie wieder zu ihnen gehen, macht es immer noch nichts. Sagen Sie ihnen, was für eine große Heldin Sie sind. Wir versorgen Sie mit ein paar Informationen, die Sie ihnen geben können; das gibt Ihnen ein gutes Gefühl. Wir sind nette Leute. Vernünftig. Okay, kommen wir zur Sache. Machen wir uns doch nichts vor. Sie sind ein nettes Mädchen, aber das hier ist nicht Ihre Schuhgröße. Fangen wir an.«
    Sie war ruhig. Eine tiefe Mattigkeit hatte sich ihrer bemächtigt, die Folge der Isolierung und der Blindheit. Sie war sicher, sie war im Schoß geborgen, um wieder neu anzufangen oder um friedlich zu sterben, wie es der Natur gefiel. Sie schlief den Schlaf der Kindheit oder des Alters. Ihr Schweigen verzauberte sie. Es war das Schweigen der vollkommenen Freiheit. Sie warteten

Weitere Kostenlose Bücher