Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
worin denn eigentlich seine Stärken bestehen.« »Wieder ein Leihwagen?« wandte sich Kurtz an Oded. »Ja, ein Leihwagen.«
    »Passt vor allem beim Auto auf«, schärfte Kurtz ihnen beiden ein. »Sobald er den Wagen an die Leihfirma zurückgibt und keinen neuen nimmt, ist das der Augenblick, über den wir sofort informiert werden müssen.« Das hatten sie so oft gehört, dass sie es schon nicht mehr hören konnten. Schon ehe sie Jerusalem verlassen hatten, war ihnen das eingetrichtert worden. Trotzdem wiederholte Kurtz es jetzt noch einmal. »Das allerwichtigste ist, zu erfahren, wann Yanuka seinen Wagen zurückgibt.«
    Plötzlich hatte Oded die Schnauze voll. Vielleicht konnte er wegen seiner Jugend und seines Temperaments weniger Stress ertragen, als denen, die ihn ausgewählt hatten, klar gewesen war. Vielleicht hätte man einem so jungen Mann nicht eine Aufgabe geben sollen, bei der es vor allem darauf ankam, warten zu können. Er fuhr mit dem Lieferwagen an den Bordstein und zog die Bremse so hart in die Höhe, dass er sie fast aus der Verankerung gerissen hätte. »Warum lassen wir ihn all dies machen?« verlangte er zu wissen. »Warum Katz und Maus mit ihm spielen? Was, wenn er nach Haus zurückkehrt und nicht wieder zum Vorschein kommt? Was dann?« »Dann geht er uns eben durch die Lappen.«
    »Dann lass ihn uns jetzt umlegen. Heute abend. Gib mir den Befehl, und ich mach’s.« Kurtz ließ ihn weiterwüten.
    »Wir haben doch die Wohnung genau gegenüber, oder? Schießen wir eine Rakete über die Straße. Wäre doch nicht das erstemal. Eine russische RPG 7: Araber bringt Araber mit russischer Rakete um - warum nicht?«
    Kurtz sagte immer noch nichts. Oded hätte ebenso gut eine Sphinx bestürmen können. »Warum also nicht?« wiederholte Oded mit großem Stimmaufwand.
    Kurtz schonte ihn nicht, aber er verlor auch nicht die Geduld: »Weil das zu nichts führt , Oded, deshalb. Hast du vielleicht nie gehört, was Misha Gavron selbst immer gesagt hat? Einen Satz, den ich persönlich mir hinter die Ohren geschrieben habe? Wenn man einen Löwen fangen will, muss man erst die Ziege anbinden. Ich frag’ mich, wessen verrücktes Kampfgerede du dir angehört hast. Willst du mir allen Ernstes weismachen, dass du Yanuka abknallen willst, wo du für zehn Dollar mehr den besten Strategen kriegen kannst, den sie seit Jahren hervorgebracht haben?«
    »Bad Godesberg geht auf sein Konto! Wien geht auf sein Konto, und Leiden vielleicht auch! Es werden Juden getötet, Marty! Macht das Jerusalem heutzutage nichts mehr aus? Wie viele sollen noch draufgehen, während wir unsere Spielchen spielen?« Bedächtig packte Kurtz den Kragen von Odeds Windjacke mit seinen großen Händen und schüttelte ihn zweimal; beim zweitenmal knallte Odeds Kopf schmerzhaft gegen das Fenster. Aber Kurtz entschuldigte sich nicht, und Oded beschwerte sich nicht. »Auf ihr Konto, Oded. Nicht auf seins : auf ihres «, erklärte Kurtz, diesmal mit drohendem Unterton. »Bad Godesberg geht auf ihr Konto. Leiden geht auf ihr Konto. Und sie sind es, die wir hochgehen lassen wollen; nicht sechs unschuldige deutsche Wohnungsinhaber und einen dummen kleinen Jungen!«
    »Schon gut«, sagte Oded errötend. »Lass mich in Ruhe.«
    »Nichts ist gut, Oded. Yanuka hat Freunde, Oded. Verwandte. Leute, die uns bis jetzt noch nicht vorgestellt worden sind. Willst du dieses Unternehmen vielleicht für mich leiten?«
    »Ich hab’ gesagt - es ist gut.«
    Kurtz ließ von ihm ab. Oded startete den Motor. Kurtz schlug vor, ihre interessante Tour auf den Spuren von Yanukas Lebenswandel fortzusetzen. So holperten sie eine Kopfsteinpflasterstraße hinunter, in der sein Lieblings- Nachtlokal lag, der Laden, in dem er seine Hemden und Krawatten kaufte, und der Friseur, bei dem er sich das Haar schneiden ließ, sowie die linken Buchhandlungen, in denen er mit Vorliebe schmökerte und kaufte. Und die ganze Zeit über zeigte Kurtz sich bester Laune, nickte und strahlte über alles, was er sah, so als sähe er einen alten Film, von dem er nicht genug bekommen konnte - bis sie sich auf einem Platz, der nicht weit von der Haltestelle entfernt war, wo die Busse zum Flughafen abgingen, voneinander trennten. Kurtz, der auf dem Bürgersteig stand, klopfte Oded liebevoll auf die Schulter, ohne sich seiner Zuneigung zu schämen, und fuhr ihm sogar mit der Hand durchs Haar.
    »Hört zu, ihr beiden, zerrt nicht zu sehr am Zügel. Leistet euch irgendwo ein schönes Essen, auf meine persönliche

Weitere Kostenlose Bücher