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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Schriftstück an sich. Etwa zwanzig Leute saßen da, doch Rachel war die einzige, die sie erkannte. Rossino kam wieder zurück.
    »Die Minkels sind vor zwei Minuten auf dem Bahnhof eingetroffen. Haben sich ein Taxi geschnappt - blauer Peugeot. Müssen jeden Augenblick hier eintreffen.«
    Er bat um die Rechnung und zahlte gleich, wandte sich dann jedoch wieder seiner Zeitung zu.
    Ich werde alles einmal machen, hatte sie sich geschworen, als sie dagelegen und auf den Morgen gewartet hatte; alles wird ein letztes Mal sein. Das wiederholte sie sich jetzt. Wenn ich jetzt hier sitze, brauche ich nie wieder hier zu sitzen. Wenn ich hinuntergehe, brauche ich nie wieder heraufzukommen. Und wenn ich das Hotel verlasse, brauche ich nie wieder herzukommen. »Warum knallen wir den Scheißkerl nicht einfach ab, und damit hat sich’s?« flüsterte Charlie unter einem plötzlichen Aufwallen von Angst und Hass, als sie den Blick wieder dem Eingang zuwandte.
    »Weil wir am Leben bleiben wollen, um weitere Scheißkerle abzuknallen«, erklärte Rossino ihr geduldig und blätterte um. » Manchester United hat wieder verloren«, fügte er selbstzufrieden hinzu. »Armes England!«
    »Achtung, es tut sich was«, sagte Charlie.
    Ein Taxi - ein blauer Peugeot - war jenseits der Glastüren vorgefahren. Eine grauhaarige Frau kletterte heraus. Ihr folgte ein großer, vornehm aussehender Mann mit langsamem, gemessenem Gang. »Sieh dir das kleine Gepäck genau an, ich pass’ auf die großen Stücke auf«, sagte Rossino ruhig zu ihr und zündete sich seine Zigarre wieder an.
    Der Fahrer machte den Kofferraum auf; Franz, der Hoteldiener, stand mit seinem Wägelchen hinter ihm. Zuerst kamen zwei zueinander passende Koffer; braunes Nylon, weder alt noch neu, als zusätzliche Verstärkung Riemen um die Mitte. Rote Anhänger. Dann ein alter Lederkoffer, viel größer als die anderen und an der einen Schmalseite mit einem Paar Rädern versehen. Und noch ein Koffer.
    Rossino stieß einen leisen italienischen Fluch aus. »Ja, wie lange haben die denn bloß vor zu bleiben?« beschwerte er sich.
    Die kleinen Gepäckstücke waren vorn auf dem Beifahrersitz gestapelt. Nachdem er den Kofferraum wieder verschlossen hatte, lud der Fahrer sie aus, doch sie passten nicht alle auf einmal auf Franz’ Wägelchen. Ein schäbiger Beutel aus Lederpatchwork und zwei Schirme, seiner und ihrer. Eine Tragetasche aus Papier mit einer schwarzen Katze darauf. Zwei große Schachteln in festlichem Einwickelpapier, vermutlich verspätete Weihnachtsgeschenke. Dann sah sie sie: die schwarze Aktentasche. Feste Seiten, Stahlrahmen, Lederanhänger mit Namen und Adresse. Gute alte Helg, dachte Charlie; Scheinwerfer an! Minkel zahlte das Taxi. Wie jemand anders, den Charlie einmal gekannt hatte, verwahrte er das Kleingeld in einem Portemonnaie und schüttete es sich auf die Handfläche, ehe er die ungewohnten Münzen weggab. Frau Minkel nahm die Aktenmappe. »Scheiße!« sagte Charlie.
    »Abwarten«, sagte Rossino. Mit Paketen beladen, folgte Minkel seiner Frau durch die Schiebetür.
    »Jetzt ungefähr sagst du mir, dass du glaubst, ihn zu erkennen«, sagte Rossino ruhig. »Ich sag’ dir, warum gehst du nicht runter und siehst ihn dir genauer an? Du zögerst und zierst dich, du bist eine schüchterne kleine Jungfrau.« Er hielt sie am Ärmel ihres Kleides gepackt. »Nur nichts erzwingen. Wenn’s jetzt nicht klappt - es ergeben sich noch tausend Möglichkeiten. Runzle die Stirn. Rück die Brille zurecht. Geh!«
    Minkel trat mit kleinen, leicht albern wirkenden Schritten an die Rezeption heran, als hätte er das noch nie in seinem Leben gemacht. Seine Frau, die die Aktenmappe hielt, stand neben ihm. Der Empfang war nur mit einer Angestellten besetzt, und die war mit zwei anderen Gästen beschäftigt. Minkel wartete und blickte sich dabei verwirrt um. Seine Frau taxierte unbeeindruckt das Etablissement. Auf der anderen Seite der Halle, hinter einer Rauchglasabtrennung, versammelte sich eine Gruppe von gutgekleideten Deutschen zu irgendeiner Feier. Missbilligend betrachtete sie die Gäste und flüsterte ihrem Mann etwas zu. Die Rezeption wurde frei, und Minkel nahm ihr die Aktentasche ab: ein stillschweigender, instinktiver Austausch zwischen Partnern. Die Angestellte an der Rezeption war blond und trug ein schwarzes Kleid. Mit roten Fingernägeln ging sie die Kartei durch, ehe sie Minkel ein Formular zum Ausfüllen gab. Die Treppenstufen stießen gegen Charlies Hacken, ihre feuchte

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