Die Libelle
Lachen freigesetzt hätte. Sie verschluckte sich, steckte sich die Knöchel in den Mund, legte Helga den Kopf auf die Schulter und ergab sich hilfloser herrlicher Heiterkeit.
»Es war unglaublich, Helg! Du hättest mich sehen müssen -Himmel!« An der Kreuzung starrte der junge Verkehrspolizist die beiden erwachsenen Frauen, die sich vor Lachen ausschütteten, bis ihnen die Tränen kamen, verwirrt an. Helga kurbelte das Fenster herunter und warf ihm eine Kusshand zu.
In der Einsatzzentrale saß Litvak am Funkgerät; Becker und Kurtz standen hinter ihm. Litvak schien erschrocken über sich selbst, als habe es ihm die Sprache verschlagen; er war bleich. Er trug einen Kopfhörer mit nur einem Hörer und einem Mikro an einer gepolsterten Halterung.
»Rossino ist mit dem Taxi zum Bahnhof gefahren«, sagte Litvak. »Er hat die Aktenmappe bei sich und holt jetzt das Motorrad ab.«
»Ich will nicht, dass ihm jemand folgt«, sagte Becker hinter Litvaks Rücken zu Kurtz.
Litvak riss sich das Mikrofon herunter und führte sich auf, als könnte er seinen Ohren nicht trauen. »Nicht folgen? Wir haben sechs Leute um dieses Motorrad herum aufgebaut und Alexis vielleicht noch mal an die fünfzig. Wir haben einen Sender eingebaut und über die ganze Stadt Wagen verteilt. Wenn wir dem Motorrad folgen, folgen wir der Aktenmappe, und die Aktenmappe führt uns zu unserem Mann.« Er drehte sich zu Kurtz um und flehte ihn um Unterstützung an.
»Gadi?« sagte Kurtz.
»Er übergibt an Stafetten«, sagte Becker. »Das hat er immer getan. Das heißt, Rossino bringt es bis da und dahin, übergibt die Tasche an jemand anders, und dieser bringt sie wiederum zur nächsten Stafette. Bis heute nachmittag haben sie uns durch kleine Straßen, über offenes Land und durch leere Restaurants gehetzt. Und kein Beschatterteam der Welt übersteht das, ohne erkannt zu werden.«
»Und dein besonderes Interesse, Gadi?« fragte Kurtz weiter.
»Die Berger wird Charlie den ganzen Tag nicht von der Pelle rücken. Khalil wird die Berger in abgesprochenen Abständen und an bestimmten Orten anrufen. Sobald Khalil Lunte riecht, gibt er der Berger den Befehl, sie umzubringen. Falls er sich binnen zwei Stunden nicht meldet, oder drei, je nachdem, was abgemacht ist, legt sie sie sowieso um.«
Scheinbar unentschlossen, drehte Kurtz beiden Männern den Rücken zu und durchmaß den Raum. Dann wieder zurück. Und nochmals. Litvak ließ ihn nicht aus den Augen, als wäre er ein Wahnsinniger. Schließlich trat Kurtz an den Apparat, der ihn direkt mit Alexis verband, und sie hörten, wie er »Paul?« sagte, in jenem fragenden Ton, in dem man jemand um einen Gefallen bittet. Er sprach eine Weile ruhig, hörte zu, sprach wieder und legte dann auf. »Uns bleiben noch etwa neun Sekunden, bis er den Bahnhof erreicht«, sagte Litvak aufs äußerste erregt und lauschte in seinen Kopfhörer. »Sechs.«
Kurtz beachtete ihn nicht. »Man hat mir berichtet, die Berger und Charlie seien gerade zu einem eleganten Friseur«, sagte er. »Sieht so aus, als ob sie sich vor dem großen Ereignis noch schön machen ließen.« Er blieb vor ihnen stehen.
»Rossinos Taxi hat gerade den Bahnhofsplatz erreicht«, berichtete Litvak verzweifelt. »Jetzt bezahlt er.«
Kurtz sah Becker an. Sein Blick verriet Achtung, sogar Zartgefühl. Er war ein alter Trainer, dessen Lieblingssportler endlich Höchstform zeigt.
»Heute hat Gadi gewonnen, Shimon«, sagte er, den Blick immer noch auf Becker. »Pfeif deine Jungs zurück. Sag ihnen, sie soll’n sich bis heut’ abend ausruh’n.«
Ein Telefon klingelte, und wieder war es Kurtz, der abnahm. Es war Professor Minkel, der den vierten Nervenzusammenbruch während dieser Operation hatte. Kurtz hörte ihm geduldig bis zum Ende zu, dann sprach er lange und beschwichtigend mit seiner Frau.
»Es ist ein wirklich schöner Tag«, sagte er und unterdrückte seine Verzweiflung, als er auflegte. »Alle amüsieren sich köstlich.« Er setzte seine blaue Mütze auf und machte sich auf, um sich mit Alexis zu treffen und gemeinsam mit ihm den Hörsaal zu inspizieren. Es war die schlimmste und längste Warterei, die sie je hatte durchstehen müssen; eine Premiere, die alle Premieren beendete. Schlimmer noch: Sie konnte nichts allein unternehmen, denn Helga hatte Charlie zu ihrem Schützling und ihrer Lieblingsnichte gemacht und ließ sie nicht aus den Augen. Vom Friseur, wo Helga - noch unter der Trockenhaube -den ersten Anruf entgegengenommen hatte, fuhren sie
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