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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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empörte sich mit dem Anschwellen seiner eigenen Provokation. »So was ist bei Agenten schon öfter vorgekommen. Und genau das ist jetzt passiert. Ich hab’ sie am Flugplatz gesehen, ihr nicht. Sie sieht aus wie ein Gespenst, sag’ ich euch.«
    »Wenn sie wie ein Gespenst aussieht, will sie so aussehen«, sagte Becker ungerührt. »Sie ist Schauspielerin. Und sie steht es durch.«
    »Aber worin sehen Sie ihre Motivation? Sie ist keine Jüdin. Sie ist überhaupt nichts. Sie gehört zu ihnen. Vergessen Sie sie!« Als er hörte, dass Kurtz sich unter seiner Decke rührte, hob Litvak die Stimme, um auch ihn mit einzubeziehen.
    »Wenn Sie immer noch zu uns gehört, warum hat sie dann Rachel auf dem Flughafen eine unbeschriebene Zigarettenschachtel gegeben, können Sie mir das sagen? Wochenlang unter diesem Abschaum, und schreibt uns nicht mal ‘ne Zeile, wann sie wieder rauskommt? Was für eine Agentin ist denn das, die uns gegenüber so loyal ist?«
    Becker schien in den fernen Bergen nach einer Antwort Ausschau zu halten. »Vielleicht hat sie nichts zu sagen«, sagte er. »Sie erklärt sich mit Taten. Nicht mit Worten.«
    Aus den Untiefen seines kargen Feldbetts bot Kurtz verschlafen einen Trost an. »Deutschland macht dich nervös, Shimon. Reg dich ab! Was spielt es schon für eine Rolle, zu wem sie gehört, solange sie uns den Weg zeigt?«
    Doch Kurtz ’ Worte bewirkten genau das Gegenteil dessen, was er beabsichtigt hatte. In seiner selbstquälerischen Stimmung spürte Litvak eine unfaire, gegen ihn gerichtete Allianz, und das brachte ihn noch mehr in Rage.
    »Und wenn sie zusammenbricht und ein Geständnis ablegt? Wenn sie ihnen die ganze Geschichte erzählt, von Mykonos bis hierher? Weist sie uns dann immer noch den Weg?«
    Offensichtlich war er auf Kollisionskurs aus; nichts passte ihm.
    Kurtz richtete sich auf einem Ellbogen auf und schlug einen härteren Ton an. »Was sollen wir denn tun, Shimon? Sag uns die Lösung für das Team. Angenommen, sie ist übergelaufen. Angenommen, sie hat das ganze Unternehmen von vorn bis hinten ausgeplaudert. Willst du, dass ich Misha Gavron anrufe und ihm sag’, dass alles aus ist?«
    Becker hatte sich nicht vom Fenster fortbewegt, sich allerdings wieder umgedreht, und er beobachtete Litvak jetzt nachdenklich über den ganzen Raum hinweg. Während er den Blick zwischen den beiden Männern hin und her gehen ließ, warf Litvak die Arme auseinander, eine heftige, wilde Gebärde gegenüber zwei Männern, die sich nicht von der Stelle rührten.
    »Irgendwo da draußen steckt er!« rief Litvak. »In einem Hotel. Einer Wohnung. Einem Bett. Muss er sein. Riegelt die Stadt ab. Die Straßen, die Eisenbahn, die Busse. Lassen Sie Alexis einen Ring um die Stadt legen. Jedes Haus durchsuchen, bis wir ihn haben.«
    Kurtz versuchte es mit etwas gutmütigem Humor. »Shimon. Freiburg ist nicht die West-Bank.«
    Doch Becker, dessen Interesse endlich geweckt war, schien den Gedanken gern weiterverfolgen zu wollen. »Und wenn wir ihn gefunden haben?« fragte er, als ob er sich noch nicht ganz zu Litvaks Plan durchringen könnte. »Was machen wir dann, Shimon?«
    »Finden. Umlegen. Operation ausgeführt.«
    »Und wer legt Charlie um?« fragte Becker genauso vernünftig. »Wir oder sie?«
    Plötzlich ging in Litvaks Kopf mehr vor, als er von sich aus bewältigen konnte. Unter den Spannungen der vergangenen Nacht sowie des bevorstehenden Tages wurde die ganze verknäulte Masse seiner - männlichen wie weiblichen -Frustrationen plötzlich an die Oberfläche geschwemmt. Sein Gesicht verfärbte sich, seine Augen blitzten, als er einen dünnen Arm vorschnellen ließ und anklagend auf Becker zeigte. »Eine Hure ist sie, eine Kommunistin ist sie, und ein Araber-Liebchen ist sie!« schrie er so laut, dass man es noch nebenan hören konnte. »Lassen wir sie doch fallen! Wen kümmert’s?«
    Falls Litvak erwartet hatte, dass Becker sich deshalb mit ihm in die Haare geraten würde, so hatte er sich getäuscht, denn das Äußerste, das Becker von sich gab, war ein stummes, gleichsam zustimmendes Nicken, als ob alles, was er bisher über Litvak gedacht hatte, sich jetzt bestätigte. Kurtz hatte die Wolldecke weg geschoben. Er saß in der Unterhose auf dem Bett und rieb sich mit den Fingerspitzen das kurze graue Haar auf dem vorgeneigten Kopf.
    »Geh und nimm ein Bad, Shimon«, befahl er ruhig. »Ein Bad, Entspannung, eine Tasse Kaffee. Komm gegen Mittag wieder. Und lass dich vorher nicht hier blicken.« Ein

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