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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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aufspritzte. Sie wartete - und wartete immer noch. Kein Zweifel, er musste ertrunken sein. Bis er schließlich, nachdem sie ihn endgültig aufgegeben hatte, weit draußen in der Bucht auftauchte und gemächlich im Freistil crawlend weiterschwamm, als hätte er noch Kilometer vor sich; sein kurzgeschnittenes schwarzes Haar schimmerte wie das Fell einer Robbe. Zwar flitzten Motorboote hin und her, doch er kümmerte sich nicht um sie. Da waren auch Mädchen, doch drehte er sich nie nach einer um - darauf achtete sie ganz besonders. Und nach dem Schwimmen wieder die langsame methodische Abfolge von Freiübungen, bis er sich schließlich die Golfkappe tief ins Gesicht zog und sich wieder Allende und Debray zuwandte.
    Wessen Geschöpf ist er? überlegte sie hilflos. Wer schreibt ihm seinen Text und gibt ihm die Bühnenanweisungen? Denn für sie stand er auf der Bühne wie sie für ihn in England. Er gehörte zu einem Ensemble, genau wie sie. In der sengenden Sonne, die zwischen Himmel und Sand zitterte, konnte sie minutenlang aufgerichtet seinen glatten reifen Körper beobachten und benutzte ihn als Ziel ihrer erregten Spekulationen. Du zu mir, dachte sie; ich zu dir; diese Kindsköpfe kapieren das nicht. Aber als es Zeit war, Mittag zu essen, und sie alle hintereinander an seiner Sandburg vorbei zur Taverne vorübergingen, ärgerte sich Charlie, als sie sah, dass Lucy Robert losließ, mit den Hüften wackelte und ihm zuwinkte wie eine Nutte.
    »Ist er nicht sagenhaft !« sagte Lucy laut. » Den würde ich jederzeit vernaschen.«
    »Ich auch«, erklärte Willy, noch lauter. »Meinst du nicht auch, Pauly?«
    Doch er beachtete sie nicht. Am Nachmittag nahm Al sie ins Bauernhaus mit, wo sie hemmungslos und lieblos miteinander schliefen. Als sie am frühen Abend an den Strand zurückkehrten und er nicht mehr da war, war sie unglücklich, weil sie ihrem heimlichen Geliebten untreu gewesen war. Sie überlegte, ob sie wohl die Nachtlokale nach ihm abklappern sollte. Da es ihr nicht gelungen war, tagsüber mit ihm in Kontakt zu kommen, kam sie zu dem Schluss, dass er ein ausgiebiges Nachtleben führen müsse.
    Am nächsten Morgen wollte sie nicht an den Strand. In der Nacht hatte die Stärke ihrer Fixierung sie erst belustigt und ihr dann Angst gemacht, und beim Aufwachen war sie entschlossen, Schluss damit zu machen. Neben der unförmigen Masse des schlafenden Al liegend hatte sie sich eingebildet, bis über beide Ohren in jemand verliebt zu sein, mit dem sie nie ein Wort gewechselt hatte, hatte ihn auf alle möglichen phantasievollen Arten genommen und Al fallenlassen, um für immer mit dem Unbekannten fortzulaufen. Mit sechzehn mochten solche Albernheiten zulässig sein; mit sechsundzwanzig waren sie unanständig. Al sitzen zu lassen war eine Sache; das musste ohnehin geschehen, je früher, desto besser. Aber einem Traum in einer weißen Golfkappe nachzujagen, war doch etwas anderes, selbst im Urlaub auf Mykonos. Folglich tat sie dasselbe wie gestern, doch diesmal tauchte er - zu ihrer Enttäuschung - weder im Buchladen hinter ihr auf, noch trank er in der Taverne nebenan Kaffee; auch tauchte sein Spiegelbild beim Schaufensterbummel unten am Hafen nicht in einem der Boutiquefenster auf, wie sie immer wieder hoffte. Als sie sich zum Mittagessen in der Taverne wieder zur Familie gesellte, erfuhr sie, dass sie ihn während ihrer Abwesenheit Joseph getauft hatten.
    Daran war nichts Besonderes; die Familie gab jedem einen Namen, der ihr auffiel, gewöhnlich Namen aus Theaterstücken oder Filmen, und der Gruppencodex verlangte, dass er - fand er Billigung -allgemein verwendet wurde. Ihr Bosola aus der Herzogin von Malfi zum Beispiel war ein schwedischer Großreeder mit fahrigen Bewegungen und verstohlenen Blicken für Mädchen, ihre Ophelia ein Gebirge von einer Frankfurter Hausfrau, die eine rosageblümte Badehaube und sonst kaum etwas trug. Joseph jedoch, erklärten sie jetzt, solle diesen Namen wegen seines semitischen Aussehens bekommen und wegen des buntgestreiften Bademantels, den er über der schwarzen Badehose trug, wenn er mit weitausholenden Schritten an ihren Strand kam oder ihn verließ. Joseph aber auch wegen seiner überheblichen Haltung den übrigen Sterblichen gegenüber und weil er den Eindruck hervorkehre, dass er zum Nachteil anderer, weniger Begünstigter auserwählt sei. Joseph, der von seinen Brüdern Verachtete, abseits mit seiner Feldflasche und seinem Buch.
    Charlie machte an ihrem Platz am Tisch weiter ein

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