Die Libelle
grimmiges Gesicht, als sie sich immer rücksichtsloser etwas aneigneten, was sie insgeheim als ihr Eigentum betrachtet hatte. Alastair, der sich jedesmal bedroht fühlte, sobald jemand ohne seinen Segen gepriesen wurde, war gerade dabei, sich aus Roberts Krug einzuschenken. »Joseph, dieser Arsch!« verkündete er mutig. »Eine gottverdammte Schwuchtel ist er, genauso wie Willy und Pauly. Und er ist auf Männerfang aus, glaubt mir. Der mit seinen Schlafzimmeraugen. Dem würd’ ich gern mal die Fresse polieren. Und tu’s auch noch.« Doch Charlie hatte Alastair an diesem Tag bereits bis obenhin satt und war es leid, faschistische Leibsklavin und Erdmutter zugleich für ihn zu spielen. Für gewöhnlich war sie nicht so schneidend wie jetzt, aber ihre wachsende Abneigung Alastair gegenüber lag im Widerstreit mit ihren Schuldgefühlen wegen Joseph.
»Wenn er schwul ist, warum sollte er dann hier auf Männerfang gehen, du Schwachkopf?« fragte sie wütend, fuhr zu ihm herum und verzerrte hässlich den Mund. »Zwei Scheiß-Strände weiter kann er doch nach Herzenslust unter allen Queens von Griechenland wählen. Und du auch!«
Als Anerkennung für diesen höchst unvorsichtigen Ratschlag versetzte Alastair ihr eine schallende Ohrfeige, so dass sich eine Seite ihres Gesichts erst weiß und dann scharlachrot färbte. Sie trieben ihr Spiel der Mutmaßungen bis in den Nachmittag hinein weiter. Joseph war ein Voyeur; er war ein Schleicher, ein Spanner, ein Mörder, ein Schnüffler, ein Fummel-Designer, ein Tory. Wie gewöhnlich blieb es jedoch Alastair überlassen, mit dem endgültigen Ritterschlag aufzuwarten: »Ein Scheiß-Wichser ist er!« blubberte er voller Verachtung aus einem Mundwinkel heraus; dann saugte er vernehmlich die Luft durch die Vorderzähne ein, um zu unterstreichen, was für ein toller Beobachter er doch sei. Doch Joseph selber verhielt sich diesen Beleidigungen gegenüber so gleichgültig, wie es sich auch Charlie gewünscht hätte; er tat das so sehr, dass sie am späten Nachmittag, als die Sonne und der Hasch alle - wieder bis auf Charlie - fast bis zum Stumpfsinn benebelt hatten, zu dem Schluss kamen, er sei cool , was für sie das größte Kompliment war. Und auch bei diesem dramatischen Wandel war es wieder Alastair, der das Rudel anführte. Joseph lasse sich weder von ihnen vergraulen noch anmachen - von Lucy nicht und von den beiden lover-boys auch nicht. Ergo cool , wie Alastair selbst. Joseph habe sein Territorium, und sein ganzes Verhalten verkünde: kein Mensch sitzt mir im Nacken, hier habe ich mein Lager aufgeschlagen. Cool . Bakunin hätte ihm höchstes Lob gezollt. »Er ist cool , und ich liebe ihn«, zu diesem Schluss kam Alastair, während er Lucy liebkosend bis hinunter zum Gummizug des Bikinis über den seidigen Rücken strich und dann wieder von oben anfing.
»Wäre er eine Frau, ich wüsste genau, was ich mit ihm machen würde, oder, Luce?«
Gleich darauf erhob Lucy sich und war damit in der Hitze der einzige Mensch, der auf dem flirrenden Strand aufrecht stand. »Wer behauptet denn, ich kann ihn nicht anmachen?« sagte sie und stieg aus ihrem Badeanzug.
Nun war Lucy blond, breithüftig und verführerisch wie ein Apfel. Sie spielte Animierdamen, Nutten und Jungen-Hauptrollen, doch ihre Spezialität waren mannstolle Teenager, und sie verstand es, einen Mann allein durch ihren Augenaufschlag rumzukriegen. Sie verknotete locker einen weißen Bademantel unter den Brüsten, hob einen Weinkrug samt Plastikbecher auf und schritt - den Krug auf dem Kopf -, hüftschwenkend und die Oberschenkel schön zur Geltung bringend, zum Fuß der Düne hinüber, nach Kräften bemüht, satirisch eine griechische Göttin à la Hollywood darzustellen. Nachdem sie die kleine Anhöhe zu ihm hinaufgestiegen war, ließ sie sich neben ihm auf ein Knie nieder, schenkte von hoch oben den Wein ein und ließ dabei den Bademantel aufgehen. Dann reichte sie ihm den Becher und beschloss, ihn auf französisch anzureden, soweit ihre Kenntnisse dieser Sprache das erlaubten. » Aimez-vous? « fragte Lucy.
Joseph gab durch nichts zu erkennen, dass er sie bemerkt hatte. Er blätterte um, beobachtete darauf ihren Schatten, und erst dann wälzte er sich auf die Seite, betrachtete sie kritisch mit seinen dunklen Augen unter dem Schatten seiner Golfkappe, nahm den Becher an und trank ihr mit ernster Miene zu, während zwanzig Schritt weiter ihr Fan-Club klatschte oder albern zustimmende Laute ausstieß wie die Abgeordneten
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