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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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alle für Alastair, als das Telegramm kam, insgeheim aber noch mehr für sich selbst, denn mit seiner Gewalttätigkeit begann er sie ganz krank zu machen. Vor allem aber machte es sie Charlies wegen ganz krank, die mittlerweile am ganzen Körper mit blauen Flecken übersät war, so dass sie schon um ihren Aufenthalt auf der Insel fürchteten. Nur Charlie war über die Aussicht, dass er abreiste, ganz durcheinander, wenn sie auch vor allem um ihrer selbst willen traurig war. Wie die anderen, hatte sie tagelang gewünscht, dass er endgültig aus ihrem Leben verschwand. Doch jetzt, wo ihre Gebete durch das Telegramm erhört worden waren, bedrückten sie Schuldgefühle und Angst davor, daß wieder einmal eines ihrer Leben zu Ende war.
    Die Familie begleitete Alastair hinunter zum Büro der Olympic Airways in der Stadt, sobald es nach der Siesta wieder aufmachte, um dafür zu sorgen, dass er auch wirklich einen Platz in der nächsten Morgenmaschine nach Athen bekam. Charlie ging zwar auch mit, war aber weiß und schwindlig und hielt die Arme vor der Brust verschränkt, als ob sie fröre. »Ihr könnt Gift darauf nehmen, dass die Maschine ausgebucht ist«, warnte sie sie. »Bestimmt müssen wir es noch wochenlang mit dem Scheißkerl aushalten.«
    Aber sie sollte sich irren. Es war nicht nur ein Platz für Long Al frei, sondern schon vor drei Tagen per Telex auf seinen vollen Namen reserviert und die Buchung gestern bestätigt worden. Diese Entdeckung nahm ihnen alle noch verbliebenen Zweifel. Long Al sollte ganz groß herauskommen. So etwas war noch keinem von ihnen jemals passiert. Daneben verblasste sogar die Menschenfreundlichkeit ihrer Gönner. Ein Agent - und dazu auch noch Als Agent, nach einhelliger Meinung der größte Banause auf dem gesamten Viehmarkt - reservierte per Telex so etwas wie Flugtickets für ihn! »Dem kürz’ ich seine Kommission, verlasst euch drauf«, erklärte Al ihnen bei etlichen Ouzos, während sie auf den Bus warteten, der sie an ihren Strand zurückbringen sollte. »Ich lass’ mir doch nicht für den Rest meines Lebens von einem solchen Parasiten zehn Prozent abknöpfen! Das könnt ihr mir glauben!«
    Ein strohblonder Hippie, ein verrückter Typ, der sich ihnen manchmal anschloss, erinnerte sie daran, dass alles Eigentum Diebstahl sei.
    Ganz anders als Alastair machte Charlie, die sich nach ihm sehnte, ein finsteres Gesicht und trank überhaupt nichts. »Al«, flüsterte sie einmal und griff nach seiner Hand. Aber Long Al war im Erfolg nicht zartfühlender als im Misserfolg oder in der Liebe, und Charlie hatte an diesem Morgen als Beweis eine aufgeplatzte Lippe, die sie immer wieder gedankenverloren mit den Fingerspitzen abtastete. Am Strand setzte er seinen Monolog genauso unerbittlich fort, wie die Sonne weiter herabsengte. Er werde erst einmal feststellen müssen, ob er mit dem Regisseur auch einverstanden sei, bevor er unterschreibe, verkündete er.
    »Keine alten englischen Tunten für mich, nein, vielen Dank, Mädchen; und was das Drehbuch betrifft, ich bin auf keinen Fall einer von ihren gelehrigen Laien-Schauspielern, der einfach auf seinem Arsch rumsitzt und die Textzeilen, die ihm zugeworfen werden, runterleiert wie ein Papagei. Du kennst mich, Charlie. Und wenn
    sie mich kennenlernen wollen, so, wie ich wirklich bin, dann fangen sie besser gleich damit an, Charlie-Baby, sonst kommt es zwischen ihnen und mir zu einem erbitterten Kampf, bei dem kein Pardon gegeben wird, das werden die schon noch merken.« In der Taverne setzte sich Long Al, damit auch keiner vergaß, wer hier den Ton angab, ans Kopfende, und das war der Augenblick, als sie merkten, dass er seinen Pass und seine Brieftasche samt Kreditkarte der Barclay-Bank und sein Flugticket sowie fast alles sonst verloren hatte, was ein guter Anarchist vernünftigerweise als den überflüssigen Plunder unserer Sklavengesellschaft bezeichnete.
    Zunächst einmal kapierte der Rest der Familie nicht, worum es ging, doch das passierte dem Rest der Familie häufiger. Sie dachten nur, es braue sich wieder einer von den unbegreiflichen Krächen zwischen Alastair und Charlie zusammen. Alastair hatte sie am Handgelenk gepackt und drückte es ihr mit Gewalt gegen die Schulter, und Charlie schnitt Grimassen, während er sie, das Gesicht dicht vor ihrem, unflätigst beschimpfte. Sie stieß einen unterdrückten Schmerzensschrei aus, und in dem Schweigen, das unmittelbar folgte, begriffen sie, was er ihr seit einiger Zeit auf die eine oder

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