Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
noch in ihrem Rücken spüren und so ging sie weiter, die Harfe fest umklammert.
Der Nebel wurde immer dichter. Crystal hatte das Gefühl Wasser einzuatmen und instinktiv wehrte sich ihr Körper gegen jeden Atemzug. Die Umgebung wurde immer bizarrer. In dem flachen Wasser, durch das sie wateten und welches Crystals Schuhe mittlerweile vollständig durchnässt hatte, sah sie immer wieder kleine Tiere. Schlangen in bunten Farben, die sich wie kleine Würmer wanden, seltsam flache Fische mit hervorspringenden Kiefern. Die ganze Zeit wurden sie von Insekten umschwirrt. Crystal hatte es mittlerweile aufgegeben nach ihnen zu schlagen. Manchmal dachte sie, dass sie eine Stimme hören konnte, die eingebettet in Sumpfgeräusche murmelnd Befehle erteilte. Und das Land wehrte sich. Eine Stelle, die gerade eben noch festen Grund geboten hatte, verwandelte sich unter ihren Schritten zu Morast, in den sie einsanken. Wurzeln hoben sich aus der Erde, sodass sie stürzten und Äste wickelten sich um ihre Körper, hielten sie fest umschlungen.
Der Gedanke daran, dass sie hier spielen sollte erschien ihr mit einem Mal völlig absurd. Sie konnte sich doch kaum mehr an das Rauschen des Windes in den Blättern erinnern, an das Geräusch, das der Regen machte, wenn er auf die Erde fiel, das Rascheln des Unterholzes, wenn eine Maus das Laub bewegte.
Dann plötzlich war die Erinnerung verschwunden und Crystal stand in vollkommener Schwärze. Sie begriff, dass nun die Zeit gekommen war. Sie hatte versagt. Ihre Aufgabe wäre es gewesen das Lied des Waldes hierher zubringen, doch sie hatte es einfach vergessen. Irgendjemand drückte sie zu Boden und Crystal setzte sich. Sie konnte das Holz der Harfe immer noch unter ihren Fingern spüren und sie hielt es wie einen Anker, der sie ans Licht band. Sie konnte nicht spielen, dass wusste sie. Wenn sie es versuchte, würde sie nur zu einer weiteren Stimme der Verzweiflung werden, den Chor des Leidens verstärken, da sie doch alle lichten Töne vergessen hatte. Benommen nahm sie wahr, dass sie jemand schüttelte und als sie ihren Blick fokussierte, sah sie Lucthens Gesicht vor sich. Er bewegte seine Lippen, sah sie. Er schrie! Die Absurdität dieses Gedankens klärte ihren Geist und sie verstand die Worte, die er ihr entgegenbrüllte. „Warum spielst du nicht?“
„ Ich… Ich kann nicht.“
„ Crystal, du musst!“
Benommen schüttelte sie den Kopf. „Da ist nur Dunkelheit. Ich kann nicht gegen sie spielen.“
Lucthens Gesicht verfinsterte sich. Die Verzweiflung, die er in ihrem Gesicht lesen konnte, hatte ihn wohl überzeugt. Eine Zeit lang starrte er sie schweigend an, dann lies er ihre Schultern abrupt los und wandte sich ab. „Thistle“, brüllte er.
Crystal zuckte zusammen. Sie hatte nicht geahnt, dass Lucthen eine so laute Stimme hatte. Wenige Augenblicke später war Thistle bei ihnen. Anscheinend hatte er geglaubt, dass Lucthen angegriffen würde. Dass er nun ruhig neben ihr stand verwirrte ihn offenbar. Doch Lucthen hielt sich nicht lange mit Erklärungen auf. Er packte Thistle an der Schulter und zog ihn mit sich zu Boden, sodass sich ihre Köpfe auf einer Höhe mit ihrem befanden.
„ Pfeif das Lied von einem Singvogel“, befahl Lucthen.
Thistle warf ihm einen Blick zu, als dächte er, dass der Magus den Verstand verloren hatte.
„ Tu es!“
Thistle zuckte mit den Schultern und begann zu pfeifen.
Crystal hörte es nur ganz leise, Thistles atemloses Pfeifen, doch in ihren Ohren war es der schönste Laut, den sie jemals vernommen hatte. Sie erinnerte sich. Es war das Lied der Amsel. Und plötzlich begriff sie, was Lucthen getan hatte. Er hatte ihr einen Anfang gegeben.
„ Spiel“, befahl er ihr.
Und Crystal spielte.
Thistle kniete vor Crystal und hörte verblüfft, dass sie die Melodie wiederholte, die er ihr eben vorgepfiffen hatte. Sie spielte ganz leise, als würde sie nur für sich spielen und nach und nach reihte sie die Gesänge aller Waldvögel aneinander, verwob sie miteinander und ihr Lied wurde größer. Lucthen legte ihm die Hand auf die Schulter und Thistle blickte auf. Der Magus wirkte über die Maßen angespannt.
„ Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich.
Lucthen zögerte einen Moment. Dann meinte er, „Crystal sollte sich besser beeilen. Die Dunkelheit greift nach uns. Ich kann es fühlen.“
„ Wie meinst du das?“
„ Ich muss jeden Moment an mich halten um nicht unwillkürlich nach den dunklen Fäden zu greifen.“
Thistle blickte ihn
Weitere Kostenlose Bücher