Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
wo deine Mutter steckt“, beendete sie das Gespräch abrupt, da sie wusste, dass ihr Bruder es nicht gutheißen würde, wenn sie seiner Tochter Flausen in den Kopf setzte.
„ Mama ist bestimmt in der Halle mit dem Baron von Waldstadt. Er kommt oft zu Besuch, nicht wahr, Tante Crys?“
Crystal nickte geistesabwesend. Sie konnte sich denken, warum Thorben schon wieder zu Besuch gekommen war. Seit sie in diesem Winter siebzehn Jahre alt geworden war, hatte Thorben schon zwei Mal um ihre Hand angehalten und damit den Frieden, der sonst herrschte, empfindlich gestört. Ihr Bruder konnte einfach nicht verstehen, warum sie sich so hartnäckig weigerte seinen Freund zu heiraten. Rhys würde sie nie zu etwas zwingen was sie nicht tun wollte, dessen war Crystal sich gewiss, doch sie verspürte nicht die geringste Lust ihrem Bruder zum wiederholten Male zu erklären, dass sie Torben zwar gern mochte, ihn jedoch nicht zum Mann nehmen wollte. Die Art, wie er seinen Oberlippenbart zwischen den Fingern zwirbelte wenn er nachdachte, war ihr zuwider und die Art, wie sein Blick jeder ihrer Bewegungen folgte, war ihr unangenehm. Plötzlich hatte sie gar kein Verlangen mehr, ihre Schwägerin zu suchen.
Als Thorben die Fußschritte hörte, die sich der Halle näherten, blickte er von seinem Gespräch mit Lord Rhys und Lady Lucia auf.
Der Grund seines Besuches betrat die Halle und führte an ihrer Hand die Tochter des Hausherrn mit sich. Wie wunderschön Crystal doch war. Das rote Haar trug sie der Mode entsprechen zu einem Zopf geflochten und um den Kopf gewickelt, doch was andere Frauen streng wirken ließ, betonte nur ihren schlanken Hals und ihre feinen Züge. Thorben gab sich einen Ruck und setzte eine gleichgültige Miene auf. Sie hatte ihn schon zweimal zurückgewiesen und sein Stolz war immer noch gekränkt. Doch wenn er sein Ziel erreichen wollte – Kornthal und Waldstadt zu einen – dann durfte er nicht zulassen, dass Lady Crystal einen anderen erhörte. „Wir haben eben von Euch gesprochen, Lady Joy“, wandte er sich an das kleine Mädchen. „Dein Papa hat mir erzählt, dass du die Schöpfungsgeschichte gelernt hast.“ Joy nickte erfreut; die Aufmerksamkeit gefiel ihr sichtlich. Thorben musterte die Kleine. Sie würde einmal eine große Schönheit werden, hatte sie doch die zarten Gesichtszüge derer von Trenmain geerbt, während ihr Haar ebenso schwarz war wie das ihrer Mutter. Ihrem Alter entsprechend trug sie ihr Haar offen, so dass es ihr über die zarten Schultern bis auf die Hüften fiel. Thorben lächelte, als er merkte, dass sie die Hand ihrer Tante noch immer nicht losgelassen hatte. Es war nur zu offensichtlich, dass das Mädchen Crystal bewunderte. Unwillkürlich strich seine rechte Hand über den sauber gestutzten Bart. Crystal würde eine hervorragende Mutter werden, daran konnte kein Zweifel bestehen. Er kannte sie schließlich schon ihr ganzes Leben lang und daher wusste er, dass es nur eines gab, das sie mit ebensolcher Innigkeit liebte wie ihre Musik – Kinder. Thorben hob seinen Blick zu ihr empor und lächelte sie an. „Welch’ Freude Euch wiederzusehen, Lady Crystal.“
„ Es freut mich ebenfalls, dass Ihr uns so kurz nach Eurem letzten Besuch schon wieder mit Eurer Anwesenheit beehrt“, antwortete Crystal mit einem liebenswürdigen Lächeln. Die Ironie in ihren Worten war niemandem in der Halle entgangen. Rhys hob tadelnd eine Augenbraue, doch Thorbens Lächeln vertiefte sich noch eine Spur. Er kannte Crystals scharfe Zunge. „Ich hatte geschäftliche Dinge mit Eurem Bruder zu besprechen“, erklärte er. „Und außerdem hat mich der Klang Eurer Harfe hergelockt. Wärt Ihr so freundlich etwas für uns zu spielen?“
„ Oh ja, bitte Tante Crys!“, rief Joy begeistert aus. Sie hatte ihre Hand bereits aus der ihrer Tante gelöst und lief mit wirbelnden Röcken auf die Harfe zu, die am anderen Ende der Halle nur darauf zu warten schien, dass Crystals Finger sie zum Leben erweckten.
„ Meister Martim war erst vor kurzem zu Besuch“, schaltete sich Rhys ein; sein Ärger über die unfreundliche Bemerkung seine Schwester schien vergessen. „Er hat gemeint, dass Crys von all seinen Schülerinnen die Talentierteste wäre.“ Thorben sah wie sich ein Lächeln auf Crystals volle Lippen stahl und dass ihre Augen anfingen zu strahlen, als sie die Harfe aufnahm und ihre Finger schließlich die Saiten berührten. In der Halle wurde es still, obwohl immer mehr Menschen hereindrängten. Die
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