Herzschlag der Nacht
Kapitel 1
Hampshire, England, acht Monate später
Alles begann mit einem Brief.
Um genauer zu sein: mit der Erwähnung eines Hundes.
»Was war mit dem Hund?«, fragte Beatrix Hathaway. »Wessen Hund?«
Ihre Freundin Prudence, die schönste junge Dame in ganz Hampshire County, blickte von dem Brief ihres Verehrers Captain Christopher Phelan auf.
Da es wider die guten Sitten war, dass ein Gentleman und eine unverheiratete Dame miteinander korrespondierten, hatten die beiden ein Arrangement getroffen, sich Nachrichten über Phelans Schwägerin zukommen zu lassen.
Prudence bedachte Beatrix mit einem übertrieben beleidigten Blick. »Also wirklich, Bea, du sorgst dich mehr um einen Hund als um Captain Phelan?«
»Captain Phelan bedarf meiner Sorge nicht«, antwortete Beatrix ungerührt. »Um ihn sorgen sich bereits sämtliche heiratsfähige Damen in Hampshire. Überdies hat er beschlossen, in den Krieg zu ziehen, und ich bin gewiss, dass er es weidlich genießt, in seiner eleganten Uniform umherzustolzieren.«
»Sie ist überhaupt nicht elegant«, erwiderte Prudence finster. »Eher würde man sagen, dass die Uniformen seines neuen Regiments geradezu abscheulich aussehen, so sehr schlicht, dunkelgrün mit schwarzen Aufschlägen und ohne jedes Gold oder sonstige Zier. Und als ich fragte, warum sie so sind, sagte Captain Phelan, es sollte den Schützen helfen, sich versteckt zu halten. Das wiederum ergibt überhaupt keinen Sinn, denn jeder weiß, dass ein britischer Soldat viel zu mutig und stolz ist, um sich während der Schlacht zu verstecken. Aber Christopher, also Captain Phelan, sagte, es hätte etwas mit … oh, wie hieß noch dieses französische Wort?«
»Camouflage?«, fragte Beatrix interessiert.
»Ja, woher wusstest du das?«
»Man beschreibt damit, was viele Tiere tun, um sich unsichtbar zu machen. Chamäleons zum Beispiel. Oder Eulen mit ihrem gefleckten Gefieder, das genauso aussieht wie die Rinde der Bäume, in denen sie hocken. Auf die Weise …«
»Du liebe Güte, Beatrix! Nun halt mir bitte nicht schon wieder einen Vortrag über Tiere!«
»Ich höre auf, wenn du mir von dem Hund erzählst.«
Prudence reichte ihr den Brief. »Lies selbst.«
»Aber, Pru«, protestierte Beatrix, als Prudence ihr die kleinen Blätter in die Hand drückte. »Captain Phelan könnte etwas Privates geschrieben haben.«
»Wenn es doch nur so wäre. Nein, sein Brief ist furchtbar düster. Nichts als Schlachten und schlechte Neuigkeiten.«
Auch wenn Christopher Phelan der letzte Mann war, den Beatrix verteidigen wollte, konnte sie nicht umhin zu sagen: »Er kämpft auf der Krim, Pru. Es ist anzunehmen, dass sich inmitten des Kriegstreibens wenig Hübsches zu berichten findet.«
»Nun, mich kümmern fremde Länder nicht, und ich habe niemals etwas anderes vorgegeben.«
Beatrix schmunzelte verhalten. »Pru, bist du dir sicher, dass du die Frau eines Offiziers sein möchtest?«
»Ja, natürlich. Die meisten Offiziere ziehen gar nicht in den Krieg und beschränken sich darauf, elegant auszusehen und vornehm zu sein. Sie können sogar auf halben Sold gehen, was sie von einem Großteil ihrer Pflichten entbindet, sodass sie kaum noch Zeit bei ihrem Regiment verbringen müssen. Captain Phelan war es, bis er in den Auslandsdienst berufen wurde.« Prudence hob eine Schulter. »Nun, Kriege kommen wohl immer zur falschen Zeit. Dem Himmel sei Dank, dass Captain Phelan bald wieder nach Hampshire zurückkehrt.«
»Wird er? Und woher weißt du das?«
»Meine Eltern sagen, dass der Krieg noch vor Weihnachten zu Ende ist.«
»Davon hörte ich auch. Man fragt sich allerdings, ob wir die russische Streitmacht nicht sträflich unterschätzen oder unsere eigene überschätzen.«
»Wie unpatriotisch«, rief Prudence mit einem schelmischen Funkeln in den Augen aus.
»Ich würde indes auch nicht von Patriotismus sprechen, wenn unser Kriegsministerium in seinem Übereifer dreißigtausend Mann auf die Krim schickt, ohne zuvor hinreichend zu planen. Weder verfügen wir über angemessene Kenntnis der örtlichen Bedingungen, noch gibt es eine vernünftige Strategie, wie die Krim einzunehmen ist.«
»Wie kannst du davon wissen?«
»Aus der Times . Jeden Tag wird über den Krieg berichtet. Liest du denn keine Zeitung?«
»Nicht die Artikel über Politik. Meine Eltern sagen, es ziemt sich nicht für eine junge Dame, sich für derlei Angelegenheiten zu interessieren.«
»Meine Familie spricht bei jedem Abendessen über Politik, in
Weitere Kostenlose Bücher