Die Lichtfaenger
Sie, wie viel Zeit das in Anspruch nimmt? Ein paar Stunden sind da gleich um und ich habe einen Fahrplan einzuhalten. Überdies sind wir wegen des schlechten Wetters ohnehin in Verzug! Ich weiß, was Sie meinen: Dann sollen wir eben schneller fahren! Aber jeder Knoten mehr kostet unverhältnismäßig mehr
Brennstoff!« – Landratte!, dachte der Kapitän verächtlich. –
»Wenn wir zwölf statt acht Meilen in der Stunde zurücklegen«, fuhr er mit erzwungener Höflichkeit fort, »brauchen wir nicht ein Drittel mehr Kohlen, sondern dreimal so viel! Also statt acht Kohleladungen nicht zwölf, sondern vierundzwanzig!
Nicht nur, dass ich das einteilen muss – wer soll für die Kosten aufkommen?«
»Es geht vielleicht um Leben und Tod!«, entgegnete George Lincoln ruhig, ohne auf die Argumente des anderen einzugehen.
»Ach was! Das ist doch nur eine Vermutung! Wenn sich jemand wirklich umbringen will, so kündigt er das nicht groß an. Das können Sie mir glauben, ich habe in meinen Jahrzehnten zur See schon genügend Selbstmörder erlebt!«
»Das mag schon sein«, beharrte Burr, »doch ich kenne das Mädchen und weiß, dass es ihm ernst ist, wenn sie überhaupt noch lebt!«
»Sie sagen es ja selbst – wenn sie noch lebt! Wenn es ihr ernst war, hat sie sich sowieso schon umgebracht, und falls nicht, dann macht sie es nun auch nicht mehr, weil ihr dazu der Mut fehlt! So oder so – die ganze Aktion ist sinnlos und ich hätte nichts als Ärger am Hals! Wie soll ich der Reederei erklären, dass ich wegen eines Briefes ein Schiff gestoppt habe? Nein, Sir, diesen Schuh ziehe ich mir nicht an! Und überhaupt, wieso erfahren Sie erst auf dem Schiff davon?«
Burr gestand etwas kleinlaut, dass er daheim keine Zeit gehabt und die ganze angefallene Post einfach in einen Sack gestopft und auf das Schiff mitgenommen habe, was den Kapitän nur noch mehr aufbrachte.
»Mit Verlaub, Sir – und für Ihr Versäumnis soll ich den Kopf hinhalten?«
Burr bemühte sich um sein entwaffnendstes Lächeln und entgegnete: »Ja, Sir. Ich wusste doch, dass ich es mit einem Gentleman zu tun habe!«
Unwillig brummend begann der Kapitän auf und ab zu gehen, blieb dann an einer Wand stehen und starrte auf sein Sturmglas. »Hm«, machte er dann, schwieg eine Weile und machte nochmals: »Hm!«
»Und, was sagt es?«
»Schönwetter«, knurrte der Kapitän.
»Unter diesen Umständen wäre es mehr als
unverantwortlich…«, meinte Burr mit einem freundlichen Lächeln und ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen.
In aller Früh am nächsten Morgen klopfte ein Matrose an Burrs Kajütentür und meldete ein Schiff voraus. Burr solle zum Kapitän auf die Brücke kommen.
Im Osten schwang sich der glühende Sonnenball langsam über die Linie des Horizonts und malte einen orangerot leuchtenden Streifen in die noch nachtschwarze See. Zwei dunkle Rauchfahnen hielten fast direkt auf sie zu, das Schiff war aber noch zu weit weg, um es mit bloßem Auge
identifizieren zu können.
Der Kapitän starrte durch sein Fernglas und erwiderte Burrs Gruß nur knapp. »Ein deutsches Schiff«, sagte er dann und reichte George Lincoln sein Glas, der aber nichts als einen großen Dampfer sah und es zurückgab.
»Die Elbe. Viertausendfünfhundert Bruttoregistertonnen und Platz für elfhundert Passagiere«, murmelte der Kapitän beinahe ehrfürchtig. »Vor vier Jahren hat sie das Blaue Band für die schnellste Atlantiküberquerung gewonnen. Und ausgerechnet die sollen wir anhalten?«
George Lincoln nickte lächelnd. »Genau die ist für uns richtig!«
Der Kapitän brummte etwas Unverständliches und gab dann Anweisung, die Kilo-Flagge zu setzen.
»Was ist das, eine Kilo-Flagge?«, wollte George Lincoln wissen.
»Sie signalisiert, dass man mit dem anderen Schiff in Verbindung treten möchte.« – Landratte!, dachte der Kapitän nun schon zum zweiten Mal. »Nicht einmal das weiß er!«
Hektische Betriebsamkeit kam in die Mannschaft, dann ließ das Stampfen der Maschinen nach, das Schiff verlor an Fahrt und die soeben noch hohe Bugwelle fiel in sich zusammen.
Der Dampfer begann nun in der langen Dünung heftig auf und ab zu schaukeln und am Rauschen des Wassers war zu hören, dass kaum mehr Kraft an der Schiffsschraube lag.
»Soll ich einen kurzen Begleitbrief schreiben? Ich meine, auf Deutsch?«, fragte Burr unvermittelt. »Aber ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten!«
»Sie können Deutsch? Ich habe zwar schon etwas aufgesetzt, aber wenn Sie auch ein
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