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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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Spuren verschmiert war, erleichterte sich ungeniert neben ihm und er tat es ihr gleich.
    Vor dem Ablegen in New York hatte der Kapitän einen Vorrat an getrocknetem Walsekret verteilen lassen und empfohlen, es zur Vorbeugung gegen Übelkeit bereits morgens und dann mehrmals täglich in heißem Tee aufgelöst einzunehmen. Auf die zweifelnde Frage der Passagiere, ob diese Ambra wirklich etwas nütze, hatte der Steward lächelnd geantwortet, der Wal sei schließlich auch ein Säugetier, und die Gegenfrage gestellt, ob sie denn schon einmal einen seekranken Wal gesehen hätten. Das Zeug sehe zwar nicht sonderlich appetitlich aus, schmecke aber nicht einmal so übel.
    Wieder stieg ein kurzes, trockenes Würgen in George Lincoln hoch, doch sein Magen gab nichts mehr her. Er war einer der letzten Passagiere, die es erwischt hatte. Fast ausnahmslos lagen die anderen apathisch in ihren Kojen und nicht wenigen von ihnen wäre ein rascher Tod als gnädige Erlösung erschienen. Auch Burr konnte seit zwei Tagen trotz stechenden Hungers nurmehr trockenen, bröseligen Zwieback zu sich nehmen, den er mit Pfefferminztee und der darin gelösten Ambra hinabspülte.
    Mühsam tastete er sich nun an der Reling entlang, nickte matt seiner sich wieder über dem Geländer krümmenden
    Leidensgefährtin kurz zu und hatte dann alle Mühe, den Griff der eisernen Tür zu erwischen, die zur Treppe hinab zu den Kajüten führte. Burr hatte, als er im Hafen das ihm auf den ersten Blick mächtig erscheinende Schiff gesehen hatte, gedacht, dass wohl auch die Behausungen in der zweiten Klasse noch über einen gewissen Komfort verfügen würden.
    Aber selbst die Besenkammer in der Corneller Universität erschien ihm dann geräumiger. Das Inventar umfasste neben einer schmalen Koje einen Spind aus grauem Blech und einen am Boden festgeschraubten Tisch. Das einzige bewegliche Möbel war ein Stuhl, der allerdings mit einem Ledergurt an ein Tischbein gebunden war. Von der Decke warf eine durch ein Eisengitter geschützte elektrische Lampe ihr spärliches Licht zitternd in den Raum. Von außen sorgte das durch ein trübglasiges Bullauge einfallende diesig graue Licht für ein wenig zusätzliche Helligkeit, die aber sofort wieder verschluckt wurde, sobald das Schiff in einem Wellental verschwand.
    George Lincoln streckte sich auf der Pritsche aus, was ihm jedoch nur kurzfristige Erleichterung verschaffte, da der Schiffsrumpf so stark hin- und herrollte, dass er befürchtete, herausgeschleudert zu werden und sich den Hals zu brechen.
    Der Steuermann hatte ihm empfohlen, sich auf die Koje zu setzen, den Rücken an die Wand zu lehnen und die Füße gegen die Betteinfassung zu stemmen. Aber schon nach kurzer Zeit musste Burr einsehen, dass diese Haltung mehr Kraft kostete, als sie seinen rebellierenden Magen zu besänftigen vermochte.
    Das Zuschlagen von Türen, das Knarren und Knarzen der Wände, das Brausen der See, das Heulen des Sturmes, das Geschrei der Seeleute und das Scheppern loser Ladung unter ihm – all das machte einen Lärm, dass man glauben konnte, die Besatzung sei mit Brecheisen, Äxten und
    Vorschlaghämmern dabei, das Schiff zu zertrümmern.
    Abends flaute der Sturm ab, zwischen schweren Wolken blinkten vereinzelt ein paar Sterne, aber das Meer beruhigte sich nur langsam.
    Noch fünf Tage, dachte Burr, lieber zehn Tage Zahnweh als nochmals fünf Tage seekrank.

    Am Morgen nach einer elendig langen Nacht lag das Meer wie ein frisch gebügeltes Leintuch vor ihnen, auf dem rückwärtigen Deck hatten sich bereits die ersten Passagiere unter dem ausgespannten Sonnensegel eingefunden. Ein Finnwal begleitete sie ein Stück des Weges, tauchte immer wieder mit dem Rücken aus dem Wasser und verschwand dann als schimmernder Streifen in die Tiefe. Bis zum Nachmittag wurde die Hitze so unerträglich, dass der Kapitän Anweisung gab, das Oberdeck stündlich mit Meerwasser abzuspritzen, was aber nur eine kurzfristige Abkühlung brachte.
    Welche unsäglichen Strapazen musste wohl sein Vorfahre Jehu Burr durchgemacht haben, als er 1630, nur zehn Jahre nach den Pilgervätern der Mayflower, aus England auf einem nicht einmal dreißig Meter langen Segler in die Neue Welt übersetzte? Was waren da schon der Sturm, die nun sengende Sonne und seine Seekrankheit? Damals hatte die Überfahrt an die sechzig Tage gedauert, das Brot war schimmelig, das Wasser brackig und die Passagiere waren im Bauch des Schiffes eingepfercht – sieben von den etwa einhundert hatten

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