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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Salter, wussten, warum das sein musste. Cece konnte nie etwas nach Hause mitnehmen, außer es war so klein, dass es sich leicht vor seinem Vater verstecken ließ.
    Sie redeten über nützlichere Funde, die sie vielleicht machen konnten oder in den letzten Jahren gemacht hatten. Aus Zaunpfählen ließ sich ein Floß bauen, Treibholzstücke ließen sich für eine Hütte oder ein Boot sammeln. Wenn sie Glück hatten, erwischten sie ein paar losgerissene Bisamrattenfallen. Dann konnten sie ins Geschäft einsteigen. Sie brauchten nur genug Holz für Spannbretter zu sammeln und die Messer zum Häuten zu stehlen. Sie sprachen davon, einen Schuppen zu übernehmen, von dem sie wussten, dass er leer stand, in der Sackgasse hinter dem früheren Reitstall. An der Tür war ein Vorhängeschloss, aber sie kamen wahrscheinlich durch ein Fenster hinein, indem sie die Bretter nachts abnahmen und bei Tagesanbruch wieder anbrachten. Sie würden eine Taschenlampe zur Arbeit mitnehmen. Nein – eine Laterne. Sie würden die Bisamratten häuten und die Felle spannen und für viel Geld verkaufen.
    Dieses Projekt wurde für sie so real, dass sie sich sogar Sorgen darüber machten, die wertvollen Felle den ganzen Tag über im Schuppen zu lassen. Einer von ihnen musste Wache stehen, während die anderen gingen und die Fallen kontrollierten. (Niemand erwähnte die Schule.)
    So redeten sie, wenn sie aus der Stadt heraus waren. Sie redeten, als könnten sie frei – oder nahezu frei – handeln, als gingen sie nicht zur Schule oder lebten nicht in Familien oder erduldeten keine der ihnen durch ihr Alter auferlegten Demütigungen. Auch, als versorgten das Land und anderer Leute Habe sie mit allem Notwendigen für ihre Unternehmungen und Abenteuer, bei geringstem Risiko und geringster Anstrengung ihrerseits.
    Eine weitere Eigenart ihrer Gespräche hier draußen war, dass sie nahezu völlig aufgaben, Namen zu benutzen. Sie benutzten ihre richtigen Namen ohnehin nicht oft – nicht einmal Familienkosenamen wie Bud. In der Schule hatte fast jeder einen Spitznamen. Manche hatten damit zu tun, wie Leute aussahen oder redeten, wie Glotzauge oder Quassler, und manche wie Wundarsch und Hühnerficker hatten mit wirklichen oder erfundenen Vorfällen im Leben der so Benannten zu tun oder im Leben – solche Namen wurden über Jahrzehnte hinweg weitergegeben – ihrer Brüder, Väter oder Onkel. Das waren die Namen, von denen sie abließen, wenn sie draußen im Wald oder auf den Flussauen waren. Wollten sie die anderen auf sich aufmerksam machen, riefen sie nur »He«. Sogar das Benutzen der Namen, die unflätig und zotig waren und die die Erwachsenen vermutlich nie zu hören bekamen, hätte ein Gefühl zerstört, das sie bei diesen Gelegenheiten hatten, das Gefühl, ihr Aussehen, ihre Gewohnheiten, Familien und persönlichen Geschichten gegenseitig völlig fraglos hinzunehmen.
    Und doch betrachteten sie einander kaum als Freunde. Sie hätten nie einen als besten Freund oder zweitbesten Freund bezeichnet oder mit mehreren auf diesen Positionen herumgespielt, wie Mädchen es taten. Jeder von mindestens einem Dutzend Jungen hätte jeden dieser drei ersetzen können und wäre von den anderen genauso angenommen worden. Die meisten Mitglieder dieser Gruppe waren zwischen neun und zwölf Jahre alt, zu alt, um an die Gärten und Hinterhöfe der Nachbarschaft gebunden zu sein, aber zu jung, um Jobs zu haben – selbst solch einen Job wie den Bürgersteig vor einem Laden zu fegen oder Lebensmittel mit dem Fahrrad auszuliefern. Die meisten von ihnen wohnten im Nordteil der Stadt, was bedeutete, dass von ihnen erwartet wurde, sich solch einen Job zu besorgen, sobald sie alt genug waren, und dass keiner von ihnen je aufs Appleby oder aufs Upper Canada College geschickt werden würde. Andererseits hauste keiner von ihnen in einer Baracke oder hatte einen Verwandten im Kittchen. Trotzdem gab es beträchtliche Unterschiede, wie sie zu Hause lebten und was von ihnen im Leben erwartet wurde. Aber diese Unterschiede fielen von ihnen ab, sobald sie das Kreisgefängnis und das Getreidesilo und die Kirchtürme nicht mehr sehen und das Geläut der Rathausuhr nicht mehr hören konnten.
     
    Auf dem Heimweg gingen sie schnell. Manchmal verfielen sie in Laufschritt, aber sie rannten nicht. Springen, Trödeln, Planschen, das gab es nicht mehr, und der Lärm, den sie auf ihrem Weg hinaus gemacht hatten, das Indianergeheul, wurde auch weggelassen. Jedes Geschenk der Flut wurde bemerkt,

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