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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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anders als in ihrer Erinnerung oder Vorstellung. Nicht hochgewachsen, teutonisch und humorlos. Sondern ein schlanker, blonder Mann mittlerer Größe, beweglich und umgänglich. Sophie wirkte unsicherer, zaghafter in allem, was sie sagte und tat, als in den Tagen zuvor. Aber auch glücklicher.
    Eve erzählte ihre Geschichte. Sie begann mit dem Damebrett am Strand, dem verschwundenen Hotel, den Fahrten aufs Land. Die Erzählung enthielt den damenhaften Aufputz ihrer Mutter, ihre hauchzarten Kleider und farblich passenden Unterröcke, aber nicht die widerstrebenden Gefühle der kleinen Eve. Dann die Dinge, die sie ansehen fuhren – den Zwergobstgarten, das Bord mit alten Puppen, die wunderlichen Bilder aus bunten Glasscherben.
    »Sie waren ein bisschen wie Chagall?«, sagte Eve.
    Ian sagte: »Ja. Sogar wir Stadtgeographen kennen Chagall.«
    Eve sagte: »Ver-zeihung.« Beide lachten.
    Jetzt die Torpfosten, die plötzliche Erinnerung, der dunkle Feldweg mit der Scheunenruine und den verrosteten Gerätschaften, das Haus eine Müllhalde.
    »Der Besitzer saß da und spielte mit seinen Freunden Karten«, sagte Eve. »Er wusste nichts davon. Wusste nichts oder scherte sich nicht drum. Mein Gott, es muss nahezu sechzig Jahre her sein, dass ich da war – denkt bloß mal.«
    Sophie sagte: »Ach, Mom. Wie schade.« Sie glühte vor Erleichterung, dass Ian und Eve so gut miteinander auskamen.
    »Bist du sicher, dass es überhaupt die richtige Farm war?«, fragte sie.
    »Vielleicht nicht«, sagte Eve. »Vielleicht nicht.«
    Sie mochte nicht den Mauerrest erwähnen, den sie hinter den Büschen gesehen hatte. Wozu auch, wenn es so viele andere Dinge gab, die sie lieber nicht erwähnte? Als Erstes das Spiel, zu dem sie Philip angestiftet hatte und in das er sich zu sehr hineingesteigert hatte. Und dann fast alles über Harold und seine Kumpane. Schließlich alles, aber auch wirklich alles über das Mädchen, das ins Auto gesprungen war.
    Es gibt Menschen, die Rechtschaffenheit und Optimismus mit sich herumtragen, die jede Atmosphäre, in der sie sich aufhalten, zu reinigen scheinen, und solchen Menschen kann man nichts Schlimmes erzählen, es wäre zu zerstörerisch. Eve hatte den Eindruck, dass Ian trotz seiner derzeitigen Verbindlichkeit zu diesen Menschen gehörte, und dass Sophie sich glücklich pries, ihn gefunden zu haben. Früher waren es für gewöhnlich ältere Menschen, die diese Rücksicht von anderen forderten, aber mittlerweile schienen es in wachsendem Maße jüngere Menschen zu sein, und jemand wie Eve musste sich zusammennehmen, durfte nicht preisgeben, dass sie zwischen allen Stühlen saß. Denn ihr ganzes Leben ließ sich leicht als eine Art lotterhaftes Gestrampel sehen, von Grund auf falsch.
    Sie durfte sagen, dass das Haus übel gerochen hatte und dass der Besitzer und seine Freunde insgesamt versoffen und verkommen gewirkt hatten, aber nicht, dass Harold nackt gewesen war, und auf keinen Fall, dass sie Angst gehabt hatte. Und schon gar nicht, wovor sie Angst gehabt hatte.
    Philips Aufgabe war es, die Maishüllblätter aufzusammeln, hinauszutragen und an den Rand des Feldes zu werfen. Hin und wieder hob auch Daisy ein paar auf und brachte sie fort, um sie im Haus zu verteilen. Philip hatte Eves Geschichte nichts hinzugefügt und sich anscheinend für das, was sie erzählte, nicht interessiert. Aber sobald Eve damit fertig war und Ian (der diese Lokalanekdote mit seinen beruflichen Untersuchungen verbinden wollte) sie fragte, was sie über den Zerfall älterer Strukturen dörflichen und ländlichen Lebens wusste, über die Ausbreitung des sogenannten Agrobusiness, da sah Philip auf von seiner Bück- und Krabbelarbeit zu Füßen der Erwachsenen. Er sah Eve an. Ein leerer Blick, ein Moment verschwörerischer Ausdruckslosigkeit, eines verdeckten Lächelns, der vorüberging, bevor die Notwendigkeit entstand, darauf einzugehen.
    Was bedeutete das? Nur, dass Philip mit der privaten Arbeit des heimlichen Hortens begonnen hatte, dabei selbst entschied, was wie bewahrt wurde und was diese Dinge für ihn bedeuten würden, in seiner unbekannten Zukunft.
     
    Falls das Mädchen kam und sie suchte, würden alle noch hier sein. Dann war Eves Verschwiegenheit ganz umsonst gewesen.
    Das Mädchen kam bestimmt nicht. Viel bessere Angebote würden auftauchen, bevor sie auch nur zehn Minuten am Highway gestanden hatte. Gefährlichere Angebote vielleicht, aber interessantere, wahrscheinlich auch einträglichere.
    Das Mädchen kam

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