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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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erhob sich aus den Sümpfen eine Gewitterwolke blutgieriger Mosquitos, und ein zarter Dunst von Menschenscheiße, lau und trist, wühlte im Seelengrund die Todesgewißheit auf.
    Denn das Eigenleben der kolonialen Altstadt, das der junge Juvenal Urbino in seinen Pariser Melancholien gern verklärt hatte, war zu jener Zeit eine bloße Illusion der Erinnerung. Im achtzehnten Jahrhundert war die Stadt das blühende Handelszentrum der Karibik gewesen, insbesondere wegen des unrühmlichen Privilegs, der größte Umschlagplatz für afrikanische Sklaven in beiden Amerikas zu sein. Außerdem pflegten die Vizekönige von Neu-Granada hier zu residieren, da sie lieber mit Blick auf den Ozean der Welt regierten als in der fernen und eisigen Hauptstadt, wo der Nieselregen von Jahrhunderten ihnen den Sinn für die Wirklichkeit verrückte. Mehrmals im Jahr sammelten sich in der Bucht die Galeonenflotten, beladen mit den Schätzen aus Potosi, Quito und Veracruz, das war die glorreiche Zeit der Stadt. Am Freitag, dem 8. Juni 1708 um vier Uhr nachmittags, wurde die Galeone San Jose, die eben mit einer Fracht von Edelsteinen, Gold und Silber Kurs auf Cádiz genommen hatte, vor der Hafeneinfahrt von einem englischen Geschwader versenkt, und zwei lange Jahrhunderte später war sie noch nicht geborgen worden. Der Schatz ruhte mit dem in der Kommandobrücke seitlich treibenden Kapitän auf Korallengründen und wurde von den Geschichtsschreibern gern als Emblem dieser in Erinnerungen ertrunkenen Stadt beschworen. Auf der anderen Seite der Bucht, im Villenviertel La Manga, stand das Haus von Doktor Juvenal Urbino in einer anderen Zeit. Es war groß, kühl, einstöckig und hatte auf der Außenterrasse einen Portikus mit dorischen Säulen, von dem aus man das stehende Gewässer der Bucht mit seinen Krankheitskeimen und all dem Schiffbruchsmüll überblickte. Der Boden war von der Eingangstür bis in die Küche im Schachbrettmuster schwarzweiß gefliest, was oft auf die alles beherrschende Leidenschaft des Doktor Urbino zurückgeführt worden war, ohne dabei zu bedenken, daß es sich um eine verbreitete Schwäche der katalanischen Maurermeister handelte, die dieses Viertel der Neureichen zu Anfang des Jahrhunderts gebaut hatten. Der Salon war weitläufig, hatte wie das ganze Haus hohe Decken und sechs Türfenster zur Straße; vom Eßzimmer war er durch eine riesige mit Weinlaub und Trauben verzierte Glastür getrennt, auf deren Gitter sich Jungfrauen in einem Bronzehain von den Hirtenflöten der Faune verführen ließen. Die Möbel des Salons, einschließlich der Pendeluhr, die etwas von der Präsenz einer leibhaftigen Wache hatte, stammten aus dem viktorianischen England, die Hängelampen waren Lüster aus Bergkristall, und überall standen Krüge und Vasen aus Sevres sowie Alabasterstatuetten mit heidnischen Idyllen. Doch diese europäische Stimmigkeit verlor sich im übrigen Haus, wo die Korbsessel sich unter Wiener Schaukelstühle und Lederhocker aus heimischen Werkstätten mischten. In den Schlafzimmern gab es neben den Betten prächtige, von bunten Fransen gesäumte Hängematten aus San Jacinto, auf die mit Seide und in gotischen Lettern der Name des Besitzers gestickt war. Den ursprünglich für Galadiners vorgesehenen Raum neben dem Eßzimmer nutzte man als kleinen Musiksaal, dort wurden, wenn berühmte Interpreten kamen, Konzerte im kleinen Kreis gegeben. Um die Akustik des Raumes zu verbessern, hatte man die Fliesen mit bei der Pariser Weltausstellung gekauften türkischen Teppichen bedeckt, ein Grammophon befand sich neben einem Regal wohlgeordneter Platten, und in einer Ecke stand, mit einem Übertuch aus Manila bedeckt, das Klavier, auf dem Doktor Urbino seit vielen Jahren nicht mehr gespielt hatte. Im ganzen Haus war die Vernunft und die Umsicht einer Frau zu spüren, die mit beiden Beinen auf der Erde stand.
    Kein anderer Platz offenbarte jedoch eine so pedantische Feierlichkeit wie die Bibliothek, die Doktor Urbinos Allerheiligstes gewesen war, bevor ihn das Alter einholte. Dort, um den Nußbaumschreibtisch seines Vaters und die lederbezogenen Polstersessel, ließ er die Wände und sogar die Fenster mit verglasten Bücherschränken vollstellen, in denen er, in einer fast irrwitzigen Ordnung, dreitausend identisch eingebundene Bücher mit seinem Monogramm in Gold auf dem Kalbslederrücken verwahrte. Im Gegensatz zu den anderen Zimmern, die den Verwüstungen und dem fauligen Atem des Hafens preisgegeben waren, bewahrte die

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