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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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es trotz des gesetzlichen Verbots allgemein üblich war. Ein Jäger, aus North Carolina mit einwandfreien Papieren hatte seinen Befehl nicht befolgt und mit einem gezielten Schuß seiner Springfield den Kopf eines Muttertieres zerschmettert, dessen Junges toll vor Schmerzen auf dem niedergestreckten Kadaver seine Klageschreie ausstieß. Der Kapitän hatte das Waise an Bord bringen lassen, um sich darum kümmern zu können, und dann den Jäger auf der einsamen Sandbank neben dem Kadaver des ermordeten Muttertiers ausgesetzt. Auf Grund von diplomatischen Protestnoten kam er für sechs Monate ins Gefängnis und hätte fast sein Kapitänspatent verloren, war aber, als er wieder herauskam, entschlossen, bei ähnlichen Gelegenheiten erneut so zu handeln. Es hatte sich jedoch um ein historisches Ereignis gehandelt: Das verwaiste Jungtier, das in dem Park für seltene Tiere in San Nicolás de las Barrancas aufwuchs und dort lange Jahre lebte, war das letzte Exemplar seiner Art, das im Fluß gesichtet wurde.
    »Jedesmal wenn ich an jener Sandbank vorbeifahre«, sagte er, »bete ich zu Gott, daß sich dieser Gringo noch einmal auf meinem Dampfer einschifft, damit ich ihn wieder dort absetzen kann.«
    Fermina Daza, die den Kapitän nicht besonders sympathisch gefunden hatte, war nun so gerührt über diesen sanften Riesen, daß sie ihm seit jenem Morgen einen Vorzugsplatz in ihrem Herzen einräumte. Sie tat gut daran: Die Fahrt hatte eben erst begonnen und sollte ihr noch Gelegenheit genug bieten, sich davon zu überzeugen, daß sie sich nicht geirrt hatte.
    Fermina Daza und Florentino Ariza blieben auf der Brücke, bis es Zeit zum Mittagessen war, kurz nachdem sie die Siedlung Calamar passiert hatten, wo vor wenigen Jahren noch ständig Feste gefeiert worden waren, nun aber der Hafen in Trümmern und die Straßen verlassen dalagen. Als einziges Wesen sah man vom Schiff aus eine weißgekleidete Frau, die mit dem Taschentuch winkte. Fermina Daza verstand nicht, warum man diese Frau, die doch so verängstigt wirkte, nicht abholte, doch der Kapitän erklärte ihr, daß es sich um die Erscheinung einer Ertrunkenen handele, die falsche Zeichen gäbe, um die Schiffe in die gefährlichen Strudel am anderen Ufer zu locken. Sie fuhren so nah an ihr vorüber, daß Fermina Daza sie deutlich in der Sonne erkennen konnte, sie zweifelte nicht daran, daß die Frau nicht wirklich existierte, aber ihr Gesicht kam ihr bekannt vor. Es war ein langer und heißer Tag. Nach dem Essen ging Fermina Daza in die Kabine zurück, um ihre unvermeidliche Siesta zu halten, schlief aber unruhig wegen der Ohrenschmerzen, die noch schlimmer wurden, als der Dampfer mit einem anderen Schiff der K. F. K., dem er einige Meilen oberhalb von Barranca Vieja begegnete, die üblichen Begrüßungssignale austauschte. Florentino Ariza schüttelte einen flüchtigen Traum ab. Er saß im großen Salon, wo die meisten Passagiere schliefen, als sei es Mitternacht; er hatte ganz in der Nähe des Ortes, wo er sie an Bord hatte steigen sehen, von Rosalba geträumt; sie reiste allein, gekleidet wie die Frauen aus Mompox im vergangenen Jahrhundert, und sie, nicht das Kind, hielt die Siesta in einem von den Deckenbalken hängenden Korbkäfig. Der Traum war so rätselhaft und zugleich so anregend, daß Florentino Ariza sich den ganzen Nachmittag damit beschäftigte, während er mit dem Kapitän und zwei befreundeten Passagieren Domino spielte. Die Hitze ließ bei Sonnenuntergang nach, und das Schiff lebte wieder auf. Die Passagiere tauchten aus ihrer Lethargie auf und setzten sich frisch gebadet und gekleidet in die Korbsessel im Salon, um auf das Abendessen zu warten, das Schlag fünf Uhr von einem Tischsteward angekündigt wurde, der mit einem Sakristansglöckchen klingelnd unter scherzhaftem Applaus der Anwesenden von einem Ende des Decks zum anderen lief. Während des Essens begann die Kapelle Fandangomusik zu spielen, und es wurde bis Mitternacht getanzt.
    Fermina Daza wollte wegen der Ohrenschmerzen nicht zu Abend essen, statt dessen schaute sie dabei zu, wie an einer kahlen Uferböschung, wo nur Stämme aufgeschichtet lagen, zum erstenmal Holz für die Schiffskessel geladen wurde. Ein alter Mann wickelte den Handel ab, sonst schien es meilenweit keinen Menschen mehr zu geben. Für Fermina Daza war es ein langer und langweiliger Zwischenaufenthalt, undenkbar auf einer Fahrt mit einem europäischen Transatlantikdampfer, und die Hitze war so groß, daß sie sogar in dem

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