Die Liebe in Grenzen
Mischa! «
Es war noch immer zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit, aber ich war jetzt etwas zuversichtlicher. Fast schon schwungvoll drückte ich gegen den massiven Knauf an der Haustür. Sie bewegte sich keinen Millimeter. Jetzt stemmte ich mich fester gegen die Tür, sie blieb verschlossen. Verschiedene Namen standen auf den Schildern neben den Klingelknöpfen, einige mehrfach überklebt; keiner sah offiziell aus. Nach kurzer Ãberlegung entschied ich mich für den obersten. Augenblicklich lieà ein Summen die Tür aufspringen, als hätte jemand meine Ankunft beobachtet. Sicherheitshalber versuchte ich von innen noch einmal die Tür mit der dort angebrachten Klinke zu öffnen: kein Problem.
Drinnen war es so dunkel, dass sich meine Augen erst daran gewöhnen mussten, bevor ich mich einigermaÃen orientieren konnte. Ein breiter Flur mit Holzdielen, auf denen ein langer Kokosläufer ausgelegt war, Türen zu beiden Seiten, neben dem Eingang eine groÃe Korkpinnwand, an die Zettel, Notizen und Flyer geheftet waren. Das sah nach Wohnheim aus, weit entfernt von Klinik, Sanatorium oder Irrenanstalt. Auf einem mit Kritzeleien verzierten Computerausdruck stand: Spüldienst. Wer sich drückt, wird automatisch fürs Unkrautjäten eingeteilt! Darunter eine Tabelle mit Wochentagen und handschriftlich eingetragenen Namen: Montag: Ada, Dienstag: Helmut, Mittwoch: Mischa mit Konrad ⦠Ich war gerade dabei, den Namen vom Donnerstagsdienst zu entziffern, als eine tiefe männliche Stimme sagte: » Kann ich Ihnen helfen? «
Was ich sah, als ich mich umwandte, war einiges jünger, als die Stimme hatte vermuten lassen, dafür aber entschieden das, was man eine Erscheinung nennen konnte: mittellanges dunkelblondes Haar, ein fein geschnittenes und doch etwas herb wirkendes Gesicht, Augen von genau dem wässrigen Blau, wie ich es so gern bei Männern mochte. Die kräftigen Schultern und die ansonsten schlanke Figur in einem perfekt sitzenden grauen Nadelstreifenanzug einschlieÃlich Weste, dazu eine breite Krawatte, deren blau-gelb-rotes Karomuster lange vor unserer beider Geburt designt worden war, aber auf eine schräge Weise zu dem rosafarbenen Hemd darunter passte. Als ich zu realisieren begann, dass es höchst unangebracht war, ihn so unverhohlen zu mustern, fragte er noch einmal in dem ruhig-interessierten Ton, ob er etwas für mich tun könne. Er ist es gewohnt, dass die Frauen ihn anstarren, dachte ich und dass ich trotz der Mühe, die ich mir gegeben hatte, auf den total falschen Stil gesetzt hatte â von wegen locker und alle nennen sich beim Vornamen. Dieser altmodische und zugleich unglaublich schöne Dressman würde mit einer wie mir nicht einmal ein Bier trinken gehen, geschweige denn einen Vertrag unterschreiben und die nächsten zwölf Monate mit mir zusammenarbeiten wollen.
» Mein Name ist Katia Werner « , erklärte ich viel zu leise. » Ich habe einen Termin zum Vorstellungsgespräch. «
» Einen Termin? «
» Bin etwas zu früh dran. Ich soll nach Carmen fragen. «
Er zog eine Braue hoch: » Nach Carmen? «
Ich stotterte: » Ja, also ⦠Den Nachnamen weià ich nicht. «
Super, dachte ich, gleich zu Anfang einen konfusen Eindruck machen, das wird mich in seinen Augen so etwas von kompetent erscheinen lassen.
Aber der Mann im Dreiteiler lächelte nur und sagte: » Sind Sie sicher? «
Ich bejahte, kein bisschen sicher, während sein Grinsen etwas zu jovial geriet und mich zu nerven anfing.
» Wir haben heute Morgen telefoniert « , antwortete ich bestimmt. » Also Carmen und ich. «
Er lachte. » Ach, wirklich? «
» Ich hatte mich aufgrund der Anzeige gemeldet, und sie hat mich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. «
» Hat sie das? «
» Ja. Für vier Uhr. «
» Solche Scherze erlaubt Carmen sich öfter. «
Ein Scherz. Natürlich. Typisch, dass ich nicht von selbst darauf gekommen war. Die sich so plötzlich ergebende Möglichkeit, die ungewöhnliche Reaktion, noch am selben Tag einen Termin anzuberaumen, war nichts als ein Witz gewesen! Ich hatte mich hereinlegen lassen, vielleicht von der Putzfrau oder einer Patientin, die zufällig den Hörer abgenommen und sich anschlieÃend totgelacht hatte, dass jemand ihr auf den Leim gegangen war. Und ich hatte mich schon als potenzielle Begleiterin verwundeter Seelen gesehen.
Ich
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