Die Liebe in Grenzen
ich grüne Haare hatte und ein Herrenhemd in ÃbergröÃe trug? Das zu bemerken, hatte er im Flur Zeit genug gehabt. Abgesehen davon war ich in gewisser Weise auch nicht auffälliger zurechtgemacht als er, nur dass er im Gegensatz zu mir auf der Skala exzentrischer Erscheinungen am eleganten Ende einzuordnen war. Konnte er mir nicht schlicht mitteilen, dass ich seinen Vorstellungen für die ausgeschriebene Stelle nicht entsprach, und mich nach Hause schicken? Ich fühlte mich völlig fehl am Platz.
» Was ist jetzt? « , fragte ich schlieÃlich und vergriff mich eindeutig im Ton.
Wieder hob er auf diese herablassende Art die Brauen, strich sich mit dem Handrücken langsam einen Fussel vom Ãrmel und sagte nach einer weiteren Pause doch noch etwas: » Was hat Sie veranlasst, uns Ihre Bewerbung vorzulegen? «
Wir schalten jetzt also auf den Modus der Standardsituation, dachte ich. Das verschaffte mir immerhin etwas Sicherheit. Gerade wollte ich zu einer Antwort ansetzen, als es an der Tür klopfte, die im selben Moment aufgerissen wurde.
» Ach! « Ein kräftiger, nachlässig gekleideter Mann mit schütterem aschblondem Haar, den ich auf Anfang fünfzig schätzte, war schon mitten im Zimmer, als er stutzte und uns überrascht musterte.
» Und was findet hier statt? «
Mein Gesprächspartner strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und sagte: » Wonach sieht es denn aus? «
» Klär mich auf. «
» Wir führen ein Vorstellungsgespräch. «
» Ein was � «
» Du hast schon verstanden. Kann ich sonst noch etwas für dich tun? «
Der dickliche Mann runzelte die Stirn, schaute von einem zum anderen, grinste schlieÃlich, als wäre ein anzüglicher Witz gemacht worden, und hob den Zeigefinger in unsere Richtung.
» Wir reden nachher! «
Dann drehte er sich schwungvoll herum und verlieà den Raum.
» War das ein ⦠« , fragte ich, unsicher, welcher Terminus richtig war, » Patient? «
» Nein, kein Patient, aber das wird bei uns leicht durcheinandergebracht. Wo waren wir stehen geblieben? «
» Sie hatten nach dem Grund für meine Bewerbung gefragt. «
» Richtig. Also, noch einmal von vorn: Warum wollen Sie unter geradezu ausbeuterischen Bedingungen bei Irren, Durchgeknallten und Spinnern arbeiten, wo Sie zu festen Arbeitszeiten und moderaten Konditionen entspannt ein Auge auf Kleinkinder in Sandkästen haben könnten? «
Mir blieb die Spucke weg. Wie redete dieser Typ von Menschen, die er genau vor solchen Beschimpfungen zu beschützen hatte? Er konnte doch nicht ernsthaft glauben, dass ich darauf eingehen würde. Wahrscheinlich will er mich bloà herausfordern, überlegte ich. Aber wenn schon die Verantwortlichen der Goldbachmühle sich so eigenartig benahmen, wie würde erst der Rest der Belegschaft sein?
Weil ich etwas erwidern musste, aber nicht auf seine Provokation eingehen wollte, sagte ich: » Im Elementarbereich gibt es immer Ãrger mit den Eltern, meist wegen unterschiedlicher Auffassungen von ÃuÃerlichkeiten. AuÃerdem will ich mehr, als das Ausmalen vorgedruckter Teddybären zu überwachen. «
Er schien sich über meine Antwort zu amüsieren. Dann wurde er schlagartig ernst und fragte scharf: » Das ist alles? «
» Natürlich nicht « , entgegnete ich, lauter als es meine Absicht gewesen war, und fing an, mich ernsthaft über diesen herablassenden Dandy aufzuregen. » Ich für meinen Teil würde mir anvertraute Menschen auch nicht gleich als Irre oder Spinner bezeichnen, egal wie schwerwiegend die Probleme sind, die sie mit sich herumtragen. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber da gibtâs andere, für die mir solche Wörter viel passender erscheinen. «
Was sich jetzt auf dem Gesicht des Mannes zeigte, sah nicht nach Verärgerung aus, eher nach Erstaunen oder Interesse, aber ich war schon zu sehr in Fahrt, um noch die Kurve zu einem ordnungsgemäÃen Bewerbungsgespräch hinzubekommen: » Heutzutage kann es ausreichen, einmal auszurasten, und schon findet man sich in der Klapse wieder. Ich muss Ihnen bestimmt nicht sagen, wie leicht es ist, aus unserer Gesellschaft herauszufallen, Sie haben doch täglich damit zu tun, oder? Ein Absturz â und von da an entscheiden Ãrzte und Richter, was man darf und was nicht, weil die sogenannten Normalen angeblich geschützt werden
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