Die Liebe ist ein Daemon
zu werden.
Ich kehre zur Bank zurück. Mache den Motor aus und blicke mich erstaunt um.
Er ist weg.
Auf dem Nachhauseweg frage ich mich die ganze Zeit, wer dieser geheimnisvolle Typ war.
Aber ja doch, denke ich, es wird einer von den unzähligen Touristen in dieser Stadt sein. Wer denn sonst? Heute Nachmittag wird er wieder mit seiner Gruppe in einen glänzenden Reisebus steigen und ich werde ihn nie wiedersehen.
Er wird mit seinem beängstigend schönen Gesicht von hier fortfahren, so wie alle anderen es auch immer machen.
|32| DU WIRST NIE SO SEIN WIE SIE
Morgen fängt die Schule wieder an. Und ich habe noch nicht ein Mal das Philosophiebuch aufgeschlagen. Aber das ist jetzt auch egal.
Ich stecke mir die Kopfhörer in die Ohren und stelle den iPod an.
Die Musik ist mein Trost und meine Droge und vor allem meine ständige Begleitung in jeder Lebenslage.
Ich mache lauter. Es ist meine Lieblingsband. Ich kuschele mich in die Noten und lasse mich von der vertrauten Stimme ganz weit wegtragen.
So muss ich vielleicht weder an Philosophie noch an irgendetwas anderes denken.
Manchmal würde ich die vielen Gedanken in meinem Kopf am liebsten abstellen. Heute zum Beispiel. Es ist gar nichts Besonderes passiert, wenn man mal davon absieht, dass ich die CD von
My Chemical Romance
nicht mehr finde und fürchte, dass sie nie mehr auftauchen wird. Es ist einfach einer von diesen Tagen, an denen sich die Welt, zumindest meine Welt, falsch dreht. Ich sehe sie mir aus der Ferne an und komme mir dabei wie eine Fremde vor.
Eine Fremde mitten in einer Welt, in der alle gleich sind.
|33| Alles, was ich mache, alles, was mir passiert, erinnert mich daran, dass ich anders bin. Jedes noch so kleine Ereignis, jedes Wort gibt mir einen Stich in die Magengrube. Es sind eine Menge Stiche, die mir ständig wiederholen: Dir wird immer etwas fehlen. Und du wirst nie so sein wie sie.
So wie heute vor dem Mittagessen. Mein Vater hatte sein Notizbuch verlegt und kurze Zeit später entdeckte Elena es unter einem Haufen verstreuter Blätter, die auf dem Tisch lagen. Mein Vater war immer noch vergeblich am Suchen und meine Mutter bereitete in der Küche das Essen vor.
»Es lag unter den Papieren neben den Ordnern, Papi«, sagte sie und reichte ihm das Büchlein.
Er nahm es und schlug sich mit der Hand auf die Stirn.
»Aber natürlich, wie dumm von mir. Ich habe es vorhin dorthin gelegt.«
Dann trat er zu Elena und streichelte ihr über den Kopf, fast so, als ob sie noch ein kleines Mädchen wäre.
»Danke schön, mein Engel«, murmelte er.
Meine Mutter drehte sich zu ihnen um und blickte sie lächelnd an.
Die drei sahen aus wie die Hauptdarsteller in einem Werbespot. Sie waren perfekt, wunderschön und unheimlich kitschig.
Ich stand an der Tür und beobachtete diese innige Familienszene.
Von draußen.
Ich gehörte nicht dazu.
Ich stand an der Türschwelle, am Rand des Zimmers. Am |34| Rand ihres Lebens. Wie ein ungebetener Gast, der durch das Schlüsselloch eine Welt beobachtet, zu der er nicht gehört.
Ich seufze und klicke einen ruhigeren Song an, der mich vielleicht tröstet. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie die Gitarren- und Bassklänge um mich herumtanzen.
In diesem friedlichen Moment platzt meine Schwester wie eine Furie ins Zimmer. Ich mache erschrocken die Augen auf. Sie schreit etwas, das ich nicht verstehen kann.
»He, was ist denn los?«
Sie reißt mir die Kopfhörer weg.
»Hey, was machst du da?«, protestiere ich.
»Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du meine Sachen nicht nehmen sollst? Du bist so eine Chaotin und jetzt bin ich wegen dir zu spät dran.«
Sie fängt an, in meinen Schubladen zu wühlen.
»Aber was redest du da für einen Schwachsinn? Ich habe überhaupt nichts von dir genommen!«
Sie schmeißt immer mehr Gegenstände auf den Boden und vergrößert damit nur das übliche Chaos in meinem Zimmer.
»Elena, jetzt hör aber auf! Was zum Teufel suchst du denn? Lass das sofort sein, ich hab noch nie deine Sachen genommen!«
»Ach ja? Natürlich nicht. Drei Wochen lang habe ich mein Ladegerät nicht mehr gesehen, bevor du es mir zurückgegeben hast.«
»Aber ich hatte dich doch gefragt! Lass das, hör mir doch mal zu …«
Ich kriege eine Jacke ins Gesicht, sie kommt direkt aus |35| dem Kleiderschrank, den meine Schwester gerade wie ein Ikea-Regal auseinandernimmt. Jetzt werde ich wütend.
»Hör mal, könnte ich wenigstens erfahren, was du da eigentlich suchst?«, frage
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