Die Liebe ist ein Daemon
für mich riskiert.« Ich nehme die Hände weg.
»Hätte ich etwa zuschauen sollen?«, flüstere ich und versuche, das Zittern meiner Hände in den Griff zu bekommen.
|341| Er legt eine Hand auf mein Gesicht und lässt sie dort liegen. Eine süße Wärme läuft mir über den Rücken.
Ich nehme seine Hand zwischen meine und schaue ihm direkt in die Augen. Ich tauche in das Schwarz, das so warm und so kalt ist wie das Meer im Licht der Nacht, ich tauche weiter und versuche, bis ganz unten zu sehen, in seine wahre Seele.
»Hätte ich lieber Däumchen drehen sollen, während sie dich für immer mit sich fortnimmt?«, murmle ich. »Sodass ich deine Augen nie mehr wiedergesehen hätte? Und dein Lächeln auch nicht?«
»Bitte hör auf. Wenn du so was sagst, tut mir das viel mehr weh als die paar Kratzer hier. Ich kann mir nicht vorstellen, mich von dir zu trennen. Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen.«
Ich mache mit meiner Behandlung weiter und versuche, die düsteren Gefühle, die seine Worte in mir ausgelöst haben, zu ignorieren. Die Stimmen von Lorenzo und Paride, die leise miteinander diskutieren, klingen gedämpft zu uns herüber. Wir schweigen. Dieses Schweigen gibt es so oft zwischen uns. Es ist kein peinliches oder beschämtes Schweigen, kein Schweigen, das man um jeden Preis vermeiden möchte und mit leeren Worthülsen füllt. Es ist ein Schweigen, das zu uns gehört, das uns glücklich macht und alles um uns herum verzaubert.
Es ist jetzt schon später Abend. Bald wird es stockdunkel sein, bald ist für heute alles vorbei, obwohl mir der nächste Morgen noch so weit weg erscheint.
|342| Federicos Wunden haben sich geschlossen, das Blut ist versiegt, nur ein paar Tropfen kleben noch an unserer Haut und an den Kleidern und erinnern uns daran, dass wir das alles nicht geträumt haben.
»Ich bin fertig«, sage ich leise. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich das schaffen würde.«
»Du hast auch nie gedacht, dass du ein Engel bist«, sagt er mit einem breiten Lächeln.
»Und was geschieht jetzt? Werden sie wiederkommen, um uns zu holen?«, frage ich und lenke vom Thema ab.
»Ich weiß es nicht«, antwortet er aufrichtig. »Aber jetzt will ich nicht darüber nachdenken. Sollen sie doch kommen und versuchen, uns von hier wegzuholen; ich geh hier nicht mehr weg.«
Er drückt mich fest an sich und berührt meine Lippen mit den Fingern.
»Ich hasse dich«, sage ich tonlos.
»Ich dich nicht.«
»Ich verabscheue dich von ganzem Herzen. Weil ich genau weiß, dass ich nicht mehr ohne dich leben kann. Deswegen hasse ich dich!«
»Vicky … du erinnerst dich doch an das Lied von Pink Floyd, oder?«
»Ja.«
»Und was meinst du – kannst du den Himmel von der Hölle unterscheiden?«
»Im Moment find ich das ein bisschen schwierig.«
Ich schaffe es, ihm ein Lächeln zu entlocken.
|343| Es ist spätabends und wir leben noch, wir sind zusammen, mehr gibt es nicht zu sagen.
»Danke, dass du mir das Leben gerettet hast«, flüstert er. Die letzten Silben ersticken in einem Kuss.
»Danke, dass du mein Leben verändert hast.«
»Ich liebe dich«, sagt er ganz leise, es ist wie ein Gedanke, der ihm gerade aus dem Kopf entwischt ist. Ich träume nicht, er sagt es wirklich.
In seiner Stimme liegt ein ängstliches und gleichzeitig zärtliches Zittern, das mir zeigt, dass er es ernst meint und es nicht nur einfach so dahingesagt hat.
Die Liebe ist das schlimmste und das schönste aller Gefühle. Die Liebe ist so vieles. Sie ist der Dämon, von dem Platon spricht, und sie ist Amor, der Sohn der Venus, der Gott der Liebe. Nur in der Verbindung mit einem anderen Wesen wird Amor vollkommen. Er möchte fliegen, aber zum Fliegen braucht er zwei Flügel.
»Ich liebe dich.«
Ich liebe einen Dämon, obwohl ich ein Engel bin. Ich liebe das Gegenteil von mir, mein Gegenstück, mein Gift und mein Gegengift.
Wir sind wie Weiß und Schwarz, wie Licht und Dunkelheit. Wir sind der Albtraum, aus dem man weglaufen möchte, und der Traum, in dem man Zuflucht sucht. Wir sind alles und das Gegenteil von allem, von Gut und von Böse.
Das Gute umarmt nicht das Böse und das Böse streichelt dem Guten nicht mit seinen schwarzen Flügeln über den Rücken.
|344| Sie retten sich nicht gegenseitig das Leben, sie geben sich nicht dem anderen hin.
Es darf nicht sein.
Es ist unmöglich.
Aber es ist so, es ist die Wirklichkeit.
Es ist wahr. Wie unsere Liebe.
Informationen zum Buch
Die 1 6-jährige Vicky ist ein
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