Die Liebe ist ein Dieb und der Pirat der Träume (German Edition)
seufzte. Also schaltete ich mein Handy laut und drückte zum letzten Mal die Wahlwiederholung. Ich hielt das Telefon in die Luft, damit alle mithören konnten, und sah die anderen an. Die anderen sahen mich an. Dann sahen wir alle auf das Telefon.
„Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück.“
Daraufhin schwiegen alle ein bisschen. Genau genommen glaube ich nicht, dass man ein bisschen schweigen kann . Es ist eine Sache von entweder oder. Wir schwiegen. Und niemand mochte mir in die Augen sehen.
Also schaltete ich mein französisches Handy endgültig aus und reichte es Grandma Josephine, die es umgehend in den nächstgelegenen Mülleimer warf.
Dann saß ich einfach nur da, auf dem gut polierten Fußboden im Terminal fünf des Flughafens Heathrow, saß einfach da, umgeben von sämtlichen meiner irdischen Besitztümer, und weinte und weinte und weinte noch ein bisschen mehr. Wenn jede Träne ein Stück meiner Seele war, dann würden sie mich nie wieder zusammenflicken können.
SECHS MONATE SPÄTER …
E s ist das, was ich wirklich am meisten hasse – okay, abgesehen von den Geräuschen, die jemand beim Essen macht. Der erste Platz geht auf jeden Fall an die Geräusche, die die Leute machen, wenn sie essen, vor allem die Kau- und Schluckgeräusche hasse ich, aber auch alles, was vorher passiert – das Klirren von Messer und Gabel auf dem Teller, wenn es in einem Zimmer ganz ruhig ist, das Geräusch, wenn jemand seinen Mund voller Spucke öffnet, und am allerschlimmsten ist es, wenn jemand mit der Gabel gegen die Zähne stößt, während er sein Essen in sich hineinschaufelt. Zugegeben, man kann wohl sagen, dass ich ein klitzekleines Problem mit Essgeräuschen habe. Aber gleich danach, gleich hinter dieser Sache mit den Essgeräuschen, hasse ich am allermeisten Liebeskummer, und dabei muss ich mich täglich bei der Arbeit damit abplagen, denn nach dem „Vorfall“ auf dem Flughafen Heathrow, Terminal fünf, hat mein Freund Federico mich dazu überredet, mit ihm in der Redaktion der Zeitschrift „True Love“ zu arbeiten.
Ursprünglich war es Grandma Josephines Idee gewesen. Sie hatte gemeint, es sei wichtig, dass man sich beschäftige, wenn man sich innerlich leer und zerbrochen fühle. Dann hatte sie noch was davon gesagt, dass man seine eigene Miete zahlen müsse, bevor sie etwas über Inflation und steigende Milchpreise gemurmelt hatte. Also gehe ich jetzt jeden Tag zusammen mit Federico zur Arbeit, und dort werde ich mit einer Vielzahl von grässlichen Essgeräuschen und massenhaft Liebeskummer konfrontiert, obwohl unsere Leserinnen nie etwas von dem Liebeskummer erfuhren. Nein, bei „True Love“ sah alles nach eitel Sonnenschein und Liebesglück aus, und ich hasste das, ich hasste diesen eitel Sonnenschein und das angebliche Liebesglück.
„Na, das ist ein pussymäßiges Rätsel, genau das ist es“, sagte Chad, während er um den riesigen herzförmigen Tisch herumging, der in der Mitte des riesigen herzförmigen Konferenzzimmers stand. „Wann, zur Pussy, haben wir das letzte Mal so vielPost bekommen?“, wollte er bei seiner zweiten Runde durchs Zimmer wissen.
Loosie, seine aufdringliche vierundzwanzigjährige amerikanische Assistentin, schritt hinter ihm her und blätterte wie ein unangenehmer Linienrichter in ihrem Notizblock.
„2001, Chad“, sagte sie und blätterte zur richtigen Seite. „Gleich nach dem Anschlag am 11. September.“
„Was, zum Teufel, hab ich denn dann verpasst?“, wollte Chad wissen und schaute jeden im Raum an. „Warum stehen hier siebenundzwanzig Säcke voll mit Post? Worüber, zur Hölle, haben wir im letzten Monat geschrieben?“ Es war allgemein bekannt, dass Chad noch nie seine eigene Zeitschrift gelesen hatte. Er überprüfte nicht einmal den Inhalt, bevor er in den Druck ging. „Was hatten wir für Anzeigen drin?“, fragte er in die Runde. „Hat die verdammte Post mal wieder alles versaut und vergessen, uns die Briefe für die letzten pussymäßigen elf Jahre zuzustellen? Was, zur Pussy, war in den letzten Ausgaben so aufregend?“
Sämtliche Kollegen drehten sich langsam zu mir herum, um mich anzustarren. Sie sahen in etwa so aus wie die Pantomimen mit den weißen Gesichtern, nur sehr viel Angst einflößender. Ich sagte, sämtliche Kollegen drehten sich zu mir herum, doch das stimmte nicht ganz. Chad bildete die Ausnahme. Der hatte gerade seine dritte Runde durchs
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