Die Liebe ist ein Dieb und der Pirat der Träume (German Edition)
hinter ihm herstürmte.
Die Pianistin
Beatrice Van de Broeck – 90 Jahre alt
Was ich wegen der Liebe versäumt habe? Na ja, ich habe kein Klavierstudium begonnen. Mir war 1939 ein Platz an der Juilliard School in New York angeboten worden. Wahrscheinlich hast du noch nie davon gehört, aber die Juilliard School war schon damals eine der besten Musikschulen der Welt. Einige der erfolgreichsten Pianisten unserer Zeit haben an dieser Schule studiert.
Mein Vater, ein sehr konservativer Belgier, hatte tatsächlich in Erwägung gezogen, mich gehen zu lassen, aber die Schule konnte mir nicht garantieren, dass ich nach meinem Abschluss auch Arbeit finden würde. Na ja, dass seine Tochter nach Amerika ziehen wollte, war eine Sache, aber dass sie womöglich im Anschluss an ihr Studium eine arbeitslose Musikerin sein würde, war etwas ganz anderes. Schließlich hat er mir selbst die Wahl überlassen. Entweder das zu tun, was man von mir erwartete, nämlich einen wunderbaren Mann zu heiraten, den ich wirklich sehr gernhatte, oder nach Amerika zu gehen. Natürlich habe ich zugestimmt, zu heiraten. Das war auch das Richtige, es gehörte sich so. Und mein Ehemann hat mir als Hochzeitsgeschenk einen wunderbaren Steinway-Flügel geschenkt. Darauf habe ich bis zum Tod meines Mannes jeden Tag gespielt. Möge seine Seele in Frieden ruhen.
Aber nachdem ich meinen Platz an der Juilliard School aufgegeben hatte, habe ich nie wieder Klavierunterricht genommen. Ich blieb auf dem Stand, auf dem ich war: gut, aber nicht großartig; eine Klavierspielerin, aber keine Musikerin, keine Künstlerin. Wenn es also keinen Ehemann gegeben hätte, wenn die Verpflichtung, zu heiraten und sich häuslich niederzulassen, nicht so groß gewesen wäre, wenn ich frei wie ein Vogel gewesen wäre, so wie du jetzt frei bist, du junges hübsches Ding, dann wäre das das Erste gewesen, was ich gemacht hätte. Das ist also der Traum, der mir von der Liebe gestohlen worden ist. Und wenn ich dort in New York wäre, würde ich die Daumen und alles Mögliche andere drücken und hoffen, dass ich niemals die Liebe finden würde, damit ich für immer dortbleiben könnte.
Grandmas Villa | Pepperpots Lebenstraum
„Nur weil ein Mensch weibliche Geschlechtsorgane besitzt, ist dieser Mensch nicht weniger wert als einer mit männlichen Geschlechtsorganen.“ Das war so ziemlich das Erste, was Grandma zu mir sagte, als Federico und ich sie im Pepperpots Lebenstraum, dem exklusivsten Altersheim in ganz Westeuropa, besuchten. Eigentlich ist es eher ein Luxus-Senioren-Themenpark auf einem mehr als zwanzigtausend Quadratmeter großen Grundstück, der über ein eigenes Spa, ein schwimmendes Restaurant und ein Tanzstudio verfügt. Wir waren dorthin gefahren, um Grandma und ihre beste Freundin, Beatrice Van de Broeck, um ihren altersweisen Rat bezüglich eines möglichen Problems bei der Arbeit zu bitten, aber bisher hatten wir nichts als eine weitschweifige Lektion über das aufrührerischste Thema überhaupt geboten bekommen.
„Ich habe nämlich lange darüber nachgedacht, Kate“, fuhr Grandma fort, während sie in ihrer großen Küche auf und ab ging. „Und ich nehme an, dass du geglaubt hast, deine Ambitionen und deine persönlichen Ziele aufgeben zu müssen, damit deine Beziehung zu Gabriel funktioniert.“ Federico nickte hektisch mit dem Kopf, um seine Zustimmung zu signalisieren. „Also hast du deine Vagina verleugnet.“
„Autsch“, murmelte Federico und legte schützend die Hände über seinen Schoß.
„Du bist zu einer verkümmerten Version deiner selbst geworden, zu einer halben Person, einer Sieson “ – Grandma Josephine ist eine produktive Neologistin 2 – „und was ist eine halbe Frau, Kate? Dabei musst du natürlich an die englischen Wörter für Mannund Frau denken.“
„Eine halbe wo-man ist nichts weiter als ein man , also ein Mann“, erkannte ich und stöhnte.
„In Zukunft solltest du dir immer treu bleiben, Kate, zur Hölle mit Gabriels zerbrechlichem Ego und seiner frauenfeindlichen Gesinnung. Ich wette, seine neue Freundin hat weder ihre Ambitionen noch ihre persönlichen Ziele aufgegeben.“
Dies scheint mir ein guter Moment zu sein, um anzumerken, dass sich Grandma Josephine während der ganzen Zeit, in der ich mit Gabriel zusammen war, nie wirklich für ihn erwärmen konnte. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass sie es nicht schafft, mir irgendetwas Verständnisvolles oder Tröstendes zu sagen oder zum Beispiel darauf
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