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Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Titel: Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Setz Clemens J.
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fluchte vor sich hin und ging dann an Kirill vorbei, die Treppen hoch. Weiter oben fiel eine Tür krachend ins Schloss.

    Ein paar Tage herrschte Funkstille. Kirill wanderte verwirrt durch die Räume seiner Wohnung und betrachtete ungläubig das schweigende Telefon. Schließlich meldete er sich bei Lea und entschuldigte sich umständlich bei ihr. Sie schien sich nicht mehr an den Vorfall zu erinnern und lud ihn ein, mit ihr zum Kind zu gehen. Albert würde auch mitkommen, sagte sie. Kirill stand da, mit dem Telefonhörer in seinem Gesicht, ein Handtuch um seine gerade gewaschenen Haare gewickelt, und in dem unbeherrschbaren Glückstaumel, der ihn befiel, sagte er zu.
    Wenig später hasste er sich und warf das Handtuch wütend in eine Ecke.
    – Versuch es einmal, sagte Lea. Es ist ganz weich.
    – Nein, sagte Kirill. Ich glaube, das ist nichts für mich.
    Warum war es ihm so unangenehm, Lea in die Augen zu sehen? Jetzt nahm sie seine Hand – das hatte sie noch nie gemacht –, faltete sie auf und legte etwas Kaltes hinein, dann faltete sie seine Hand wie ein Geschenk zusammen und gab sie ihm zurück.
    – Spinnst du? Ich geh doch nicht mit einem Messer auf ein Kind los. Da, nimm’s wieder.
    – Versuch’s. Nur einmal.
    – Nein.
    – Es ist doch kein Kind, es ist nur Lehm.
    – Nur Lehm, hörte man Alberts sarkastische Stimme im Hintergrund, nur Lehm, nur Lehm. Und der Kuss von Brancusi ist auch nur ein Stück Stein.
    – Hab ich dich um deine Meinung gebeten?, brüllte Lea.
    Albert kam auf sie zu. Während er sprach, reckte er sein Gesicht bis auf ein paar Zentimeter an ihres heran. Sein Kopf zuckte nervös vor und zurück. Er glich einer Echse mit aufgestelltem Kragen.
    – Spiel nur den Berserker, sagte Lea. Aber ich habe dich gesehen.
    – Halt dein blödes Maul.
    Der Abstand zwischen den Gesichtern schrumpfte noch ein kleines Stück. Halt. Dein. Blödes. Maul. Alberts Unterlippe glänzte nass.
    – Du hast nur darauf herumgeknetet, sagte Lea. Mit deinen kleinen Künstlerfingern hast du etwas zurechtgebogen, ausgewischt, aber zuschlagen –
    Kirill ging dazwischen. Alberts Blick blieb magnetischan Lea hängen. Er ließ sich nur mühsam von Kirill zum Rückzug bewegen. Lea ging ihm ein paar Schritte nach, er musste sie ebenfalls aufhalten.
    – Er wird mich umbringen, sagte sie, als Albert verschwunden war. Er ist ein Feigling. Er kann nicht einmal das Kind schlagen.
    In der Ferne hörten sie, wie ein großer hohler Gegenstand, vielleicht eine Plastikmülltonne, von rhythmischen Trommelschlägen malträtiert wurde. Ein Hund jaulte auf.
    – Er ist ein Feigling, sprach Lea weiter, und nur ich habe es gesehen. Er hat nicht einmal mit der Faust zugeschlagen.
    – Ich habe auch nicht zugeschlagen, erinnerte sie Kirill.
    – Du hast bestimmt deine Gründe, sagte sie. Prinzipien. Aber er ist einfach nur feige.
    – Vielleicht hat er auch seine Gründe.
    – Schau –
    Ein großer Stein schlief friedlich vor ihnen auf dem kleinen Rasenstück. Lea bückte sich nach ihm. Der Stein war oval, und sie schaukelte ihn wie ein Baby. Die Unterseite des Steins war voll nasser Erde, und sie wischte ihre Finger einfach an ihrer Jacke ab. Dicke, braune Striche. Kirill fragte sich, wann diese Jacke wohl das letzte Mal gewaschen worden war.
    – Wirf. Nur einmal.
    – Warum?
    – Für mich, sagte sie. Ein Geschenk. Ein …
    – Aber warum ist das denn so wichtig?
    – Ist es ja nicht. Ich würde mich nur freuen. Am besten,du zielst auf den Rücken oder, von vorne, auf die Schulter, auf das Schlüsselbein, das –
    – Nein, ich werde ganz sicher kein Schlüsselbein zertrümmern, sagte Kirill. Ich bin müde.
    – Ach, es hat doch gar kein Schlüsselbein, stell dich doch nicht so dumm an, nur einmal, bitte, dann prallt der Stein ab, und niemand hat dich gesehen.
    – Niemand außer dir.
    – Willst du, dass ich wegsehe? Ist es das? Kein Problem, wenn es das ist.
    – Lea, lass es für heute gut sein. Ein andermal.
    Er bereute, dass er mitgegangen war.
    – Wieso ein andermal? Wir sind jetzt hier. Und an einem anderen Tag sind vielleicht noch zehn andere Leute da. Heute haben wir es ganz für uns. Herrgott, es ist doch nur ein Lehmklumpen!
    – Und? Ich sehe keinen Grund, einen Lehmklumpen mit Steinen zu bewerfen.
    – Es braucht doch keinen Grund, außer dem, dass ich mich freue. Tu’s für mich.
    Er zögerte. Der Stein wanderte aus ihrer Hand in seine.
    – Wirf. Es sagt ja niemand, dass du dir die Hand am Kind kaputtschlagen sollst

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