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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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Eigenschaften zum Vorschein gebracht«, sagte Tatiana. »Ich wusste gar nicht, dass er so nett sein kann.«
    »Ja, er hat dich nett geküsst«, entgegnete Alexander finster.
    »Er ist sehr nett.«
    »Und du lässt es zu.«
    »Na, zumindest weise ich ihn nicht ab.«
    Alexander zog scharf den Atem ein. Tatiana schluckte. Sie konnte kaum glauben, was sie da von sich gab.
    »Du stellst dir also eine Zukunft mit ihm vor?«, fragte er schneidend.
    Sie schwieg.
    Eine Krankenschwester öffnete die Tür, damit etwas frische Luft hereinkam.
    Als sie wieder allein waren, sagte Alexander: »Tania, ich weiß nicht, was du von mir erwartest. Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass wir uns nicht auf dieses Spiel einlassen sollten. Aber jetzt ist es zu spät. Jetzt ist Dimitri ...« Kopfschüttelnd brach Alexander ab. »Jetzt ist es doppelt schwierig geworden.«
    Alles, was sie wollte, war, dass er sie noch einmal küsste. »Das veranlasst mich, dich zum dritten Mal zu fragen: Was machst du eigentlich hier?«, erkundigte sie sich stattdessen. »Sei nicht wütend!« »Ich bin nicht wütend!«
    Alexander hob die Hand, um ihr Gesicht zu berühren. Sie wandte den Kopf ab.
    »Oh«, sagte er und stand auf. »Von mir wendest du dich ab.« Er war schon an der Tür, als er sich noch einmal umdrehte. »Nur zu deiner Information«, brummte er, »Dimitri kannst du ohnehin nicht verletzen.«
    Vera überbrachte Tatiana die Nachricht, dass sie bis Mitte August im Krankenhaus würde bleiben müssen. Erst dann seien ihre Rippen wieder so weit verheilt, dass sie auf Krücken herumhumpeln könne. Ihr Schienbein war an drei Stellen gebrochen und steckte von oben bis unten in Gips. Die Familie brachte Tatiana zu essen und sie aß mit Genuss. Piroschki mit Kohl, Hühnerschnitzel, Frikadellen und Blaubeerkuchen.
    Zuerst besuchten Mama und Papa sie jeden Tag. Dann jeden zweiten Tag. Dascha schaute am Arm von Leutnant Alexander Below vorbei, strahlend, gesund und fröhlich. Sie küsste Tatiana auf den Scheitel und zwitscherte, sie könne nicht lange bleiben. Auch Dimitri kam sie besuchen, setzte sich aufs Bett und legte den Arm um sie. Doch schon bald verließ er sie zusammen mit den anderen.
    Eines Abends, als die vier Karten spielten, um sich die Zeit zu vertreiben, erzählte Dascha Tatiana, dass ihr Zahnarzt evakuiert worden sei. Er hatte Dascha gebeten, ihn nach Swerdlowsk auf der anderen Seite des Urals zu begleiten, aber Dascha hatte sich geweigert und sich stattdessen Arbeit in Mamas Uniformfabrik gesucht. »Jetzt kann man mich nicht mehr evakuieren. Ich bin nicht abkömmlich«, sagte Dascha und zeigte zahlreiche Goldzähne, als sie Alexander anlächelte. »Wo hast du die denn her?«, fragte Tatiana. Dascha erwiderte, sie habe sie als Bezahlung von den Patienten bekommen.
    »Du hast ihre Goldzähne genommen?«, fragte Tatiana überrascht.
    »Das war meine Bezahlung«, gab Dascha verständnislos zurück. »Es können nicht alle so zimperlich sein wie du!« Tatiana wollte sich nicht in Daschas Angelegenheiten einmischen. Also wechselte sie das Thema und sprach über den Krieg. Alexander verkündete, die Front bei Luga könne jeden Tag fallen. Es kam Tatiana unwirklich vor, dass sie im Krankenhaus lag. Sie war eingesperrt in vier graue Wände mit einem Fenster und hatte lediglich Kontakt zu wenigen Leuten. Sie erfuhr nichts, wenn sie nicht danach fragte. Und vielleicht war der Krieg schon vorüber, wenn sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde.
    Wie wird es dann sein?, fragte sich Tatiana. Wie immer, gab sie sich selbst Auskunft. Ich werde das Leben führen, das ich vorher geführt habe. Ich arbeite wieder bei Kirow. Nächstes Jahr gehe ich vielleicht zur Universität, wie geplant. Ja, ich gehe zur Universität, studiere Englisch und lerne einen Jungen kennen, einen netten russischen Studenten, der Ingenieur wird. Wir heiraten und leben mit seiner Mutter und seiner Großmutter in ihrer Gemeinschaftswohnung. Und dann bekommen wir ein Kind.
    Tatiana konnte sich dieses Leben beim besten Willen nicht vorstellen. Sie konnte sich gar nichts mehr vorstellen, das jenseits ihres Krankenbettes lag. Die Aussicht aus dem Fenster auf den Grecheskij Prospekt, die Hafergrütze zum Frühstück, die Suppe zum Mittagessen und das gekochte Huhn zum Abendessen -all das schien tief in ihrer Vergangenheit zu liegen. Sie sehnte sich danach, dass Alexander sie allein besuchen kam. Sie wollte ihm sagen, dass sie nicht das Recht gehabt hatte, sich so schlecht zu benehmen. Sie

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