Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
das denn ausgesehen?
Als er zu Hause ankam, schickte er ihr eine SMS . Sie antwortete ihm mit einem Smiley und mit »Vermiss dich«, um ihn bei Laune zu halten. Am Montag drauf leitete sie ihm per E-Mail einige Links weiter, er war ein fanatischer Segler. Sie waren nie zusammen gesegelt, und bei der bloßen Vorstellung bekam sie schon eine Höllenangst. Aber sie wollte ihre Angst nicht zugeben, weshalb sie Interesse vortäuschte und im Internet nach spannenden und ausgefallenen Dingen suchte, die mit Segeln zu tun hatten. Bei ihren Recherchen entdeckte sie unter anderem einen Beitrag über ein Segelboot von zweiundvierzig Fuß, das in einem tropischen Zyklon vor der indonesischen Küste hoffnungslos untergegangen war. Am Dienstag rief sie ihn an und machte Schluss.
»Schluss?«
»Ja. Diese Beziehung führt zu nichts.«
»Na gut«, sagte er.
»Es tut mir leid, wenn ich …«
»Schon in Ordnung«, sagte er. »Dann brauche ich zu Weihnachten nicht nach Trondheim fahren, dieses Scheiß- Hin- und Hergefahre habe ich eh zum Kotzen satt.«
»Das Hin- und Hergefahre oder mich?«, fragte sie.
»Beides, wenn ich ehrlich bin.«
»Ja, dann. Okay. Und ich hab dich zum Kotzen satt.«
So nah am Sitzengelassen werden war sie noch nie gewesen.
4
Sie sagte ihm nicht, dass sie schwanger war, warum hätte sie das tun sollen? Sie sprachen nicht mehr miteinander.
Ein halbes Jahr später begegnete sie ihm vor einem Kino, ausgerechnet in Oslo. Er wollte sich einen James-Bond-Film ansehen. Allein, was sie freute. Sie selbst war mit einem neuen Mann zusammen, einem ziemlich bekannten Fußballtrainer, was er später an diesem Abend per SMS kommentierte.
»Wusste gar nicht, dass du dich für Fußball interessierst?«
Also hatte er ihre Nummer nicht gelöscht. Sie seine auch nicht, sein Name tauchte im Display auf, und sie antwortete: »Doch, einzelne Aspekte von Bällen können faszinierend sein. Guter Film?«
Er antwortete mit einem Smiley, dem schwächsten, dem, der ein Lächeln nur andeutete.
Die Abtreibung überstand sie problemlos allein. Sie löschte ihre Erinnerung an den eiligen Sonntagsfick einfach aus dem Gedächtnis und schaltete den Gedanken aus, dass ein Fötus mehr ist als eine unerwünschte Visitenkarte, ein Fussel im Auge, der schnell entfernt werden muss, eine Fischgräte im Hals, weiße Hundehaare auf einem schwarzen Hosenbein, ein totes Blatt unter dem Scheibenwischer, ein Stück Eierschale im Waffelteig. Sie ließ sich bei der Gelegenheit gleich eine neue Spirale einsetzen, die alte war von selbst herausgefallen.
Wenn sie abergläubisch gewesen wäre, dann hätte sie auch das als Omen betrachtet. Dass ihr Gebärmutterhals sich auf eigene Faust öffnete und die Spirale ausstieß, um Spermien herzlich willkommen zu heißen. War es etwa möglich, dass sie und er eine geradezu himmlische DNA -Paarung aufwiesen, etwas, das ihr Gebärmutterhals vielleicht ermittelt hatte? Sie würde es nie erfahren. Sie blutete zwei Tage lang. Und sie warf die wenigen Gegenstände weg, die er bei ihr hinterlassen hatte. Rasierapparat, eine abgenutzte Zahnbürste, ein paar weiße Boxershorts und T-Shirts, einen Deostift von Boss, an dem sie lange schnupperte, einen Stapel Krimis, die er als Reiselektüre benutzt hatte, sowie einen Stapel der von ihr abonnierten Zeitung Morgenbladet , den sie um nichts in der Welt hatte wegwerfen dürfen, obwohl sie wusste, dass er diese blöden Zeitungen nur so wichtig nahm, um sie zu beeindrucken. Nichts hatte ihm mehr Spaß bereitet, als sie mit kulturpolitischen Fragen in die Ecke zu manövrieren, als müsse sie die Superexpertin in allen kleinen und großen kulturellen Interessengebieten sein, nur weil sie als Musikjournalistin arbeitete.
Zum Glück hatte sie schnell begriffen, dass hier lediglich Minderwertigkeitskomplexe zum Ausdruck kamen. Er war Naturwissenschaftler und Betriebswirt und hatte ständig Angst davor, von Bjørn Gabrielsen von Dagens Næringsliv mit der Frage angerufen zu werden, was gerade auf seinem Nachttisch lag. Na, hätte er dann antworten können – kein Buch, sondern ein ungelesener Stapel Morgenbladet . Sie warf auch einen absolut brauchbaren Isländerpullover mit schwarzweißem Fischgrätenmuster weg, nachdem sie ebenso lange daran geschnuppert hatte wie an dem Deostift.
5
Aber noch schlimmer war es mit dem, der ihr nach der Trennung Briefe schickte. Er war sechzehn Jahre jünger als sie, zum fraglichen Zeitpunkt erst zweiundzwanzig, so jung, dass sie sich mit
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