Die Liebeslist
Die Scham, die Rosamund überkam, als sei sie selbst schuld an seiner Zurückweisung! Der Stachel saß noch immer tief, genauso scharf wie das Bild von Gesicht und Gestalt jenes Mannes in ihrem Gedächtnis. Es mochte ja sein, dass er sie nur ganz nebenbei zur Kenntnis genommen hatte, aber mit ihren zwanzig Jahren war Rosamund damals mit Sicherheit keine „weinerliche Jungfer“ gewesen – als weinerlich galt sie beim besten Willen nicht –, und im Gegensatz zu seiner gleichgültigen Art hatte sie ihn immerhin angelächelt.
In ihren Träumen erschien er ihr als ihr „Wilder Falke“, ein tollkühner, ungezähmter Raubvogel, der nie die Haube, die Lederfesseln oder die Leine des Falkners kennengelernt hatte. Und was für eine Augenweide! Er war hochgewachsen und von athletischem Wuchs – ein wahrer Kämpfer, wenngleich bei seinem Besuch in feinstem Tuch, mit eingesticktem Zierwerk an Saum und Ärmel der Tunika gekleidet. Womöglich trug er sonst auch ein Schwert, doch der Ledergürtel war goldverziert und mit Juwelen besetzt. Offenbar lag ihm daran, möglichst beeindruckend zu wirken. Wenn sie scharf überlegte, konnte sich Rosamund noch jetzt an sein Haar erinnern, an seine grauen, goldfleckigen Augen. Wie ein Adler!, so hatte sie noch gedacht. Mit einem unbeugsamen Willen. Wie das wohl gewesen wäre, solch einen Mann wie ihn zu heiraten?
Ohne sich lange mit Artigkeiten abzugeben, war er gleich mit der Tür ins Haus gefallen. Mir liegt nichts an einer Heirat mit Euresgleichen. Das war noch eine seiner mildesten Äußerungen gewesen. Doch der Blick seiner harten grauen Augen war schon eine Beleidigung an sich. Ich fordere nur eins von Euch, Mylord: die Rückgabe von meines Vaters Grund und Boden sowie eine Entschädigung für den verfrühten Tod meiner Gemahlin. Hätte sie, Rosamund, das stand für sie fest, diesen wilden Greif geheiratet – er hätte sie mit Sicherheit nicht gewähren lassen. Er hätte sie vielmehr bei jeder sich bietenden Gelegenheit herumkommandiert und drangsaliert. Bei dieser Vorstellung grauste es sie regelrecht. Das wäre ja fast so schlimm wie eine Heirat mit Ralph de Morgan! Trotz ihrer Abneigung verspürte sie so etwas wie Mitleid mit der armen toten Gemahlin des Wildfalken.
Ganz zuletzt hatte er sie, vermutlich ungewollt, einmal berührt. Als er zur Tür stapfte, enttäuscht und aufgebracht, da musste er zwangsläufig dicht an Rosamund vorbei. Er war abrupt stehen geblieben und hatte herrisch die Hand ausgestreckt. „Mylady!“
Sie hatte ihm die ihre geboten, und er hatte sie an die Lippen geführt. Flüchtig. Trotzdem war es ihr so vorgekommen, als hätte sie sich verbrannt. Die Hitze raubte ihr schlagartig die Sinne. Es war ihr im Gedächtnis haften geblieben, als brenne die Stelle nach wie vor, und in Zeiten tiefster Verzweiflung malte sie sich aus, wie es wohl sein würde, seine Lippen auf ihrem Mund zu spüren, seine Hände an ihrem Busen, in dem ihr das Herz pochte, als sehne es sich nach etwas bislang Unerlebtem …
Sie kniff die Augen zusammen, um das Bild zu verscheuchen. Nun, das Ergebnis des Zusammenpralls zweier solcher Sturköpfe hatte der Möglichkeit, von dem Wilden Falken verführt zu werden, sowieso einen Riegel vorgeschoben. Er hatte seine Forderung nicht durchgesetzt und weder das väterliche Land noch die Entschädigung erhalten. Earl William seinerseits musste auf die Allianz verzichten und Rosamund auf einen Ehegatten. Die schwarze Lockenpracht seidig an ihrem Handgelenk, hatte ihr Traumritter sich steif verneigt, ihre Hand anschließend losgelassen, als habe auch er sich versengt, und Rosamund keines weiteren Blickes mehr gewürdigt. Danach hatte sie nie wieder von ihm gehört.
Dennoch gelang es ihr nicht, sein markantes Gesicht zu vergessen. Eine Schönheit war er zwar nicht, dafür waren seine Züge zu streng, zu wenig ebenmäßig. Doch faszinierend war er allemal. Er besaß eine geheimnisvolle Ausstrahlung, die auf Rosamund über die Maßen anziehend wirkte. Er war ein Mann, da war sie sich sicher, der sich durch nichts und niemanden aufhalten ließ. Ja, in der Tat: Wie wäre das wohl gewesen, diesen Falken zu heiraten, die Seine zu sein und ihm zu gehören, nur ihm allein? Ihm ihre wohlbehütete Jungfräulichkeit zu schenken, einem Ritter, der auf Beutezug ging und brandschatzte und nicht lange zögerte? Vier Jahre, und noch immer hütete sie ihren kostbaren Schatz, für den sich offenbar niemand interessierte – außer diesem abscheulichen Ralph de
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