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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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leisten, seine schönen Pferde und eleganten Wagen immer wieder zu ersetzen; seine Frau trug ausgesucht schöne Toiletten. Er machte ein großes Haus, und seine Dienerschaft war zahlreicher, als es die hergebrachten Sitten des Landes zuließen. Er spielte sich ein wenig als Fürst auf ... Das Gebiet von Frapesle war riesengroß. Dem Luxus seines Nachbarn gegenüber mußte sich der Comte de Mortsauf mit einem simplen Familienwagen begnügen, der in der Touraine ein Mittelding zwischen Omnibus und Postkutsche ist. Seine Vermögenslage nötigte ihn, Clochegourde so ertragreich wie möglich zu machen; und so blieb er ein bescheidener Grundbesitzer, wie es in der Touraine viele gibt, bis zu dem Tage, wo königliche Gunst seiner Familie einen Glanz verlieh, auf den er vielleicht nicht einmal mehr gehofft hatte. Durch die Art, wie er den jüngeren Sohn einer verarmten Familie empfing, deren Wappen man aber schon zur Zeit der Kreuzzüge gekannt hatte, setzte er den Wert seines großen Vermögens herunter und demütigte seinen Nachbarn, der Wälder, Felder und Wiesen besaß, aber nicht von altem Adel war. Monsieur de Chessel hatte den Comte wohl verstanden. So verkehrten sie auch späterhin immer sehr höflich miteinander, ohne daß es zwischen ihnen zu den regelmäßigen Beziehungen und dem herzlichen Verhältnis gekommen wäre, die zwischen Clochegourde und Frapesle hätten bestehen sollen; waren doch die Gebiete nur durch die Indre getrennt, so daß beide Schloßherrinnen sich von ihren Fenstern hätten zuwinken können.
    Neid war nicht der einzige Grund der Einsamkeit, in die der Comte de Mortsauf sich verschanzte. Seine erste Erziehung war die der meisten Söhne aus vornehmen Familien: ein unvollständiger, oberflächlicher Unterricht, zu dem gesellschaftlicher Drill, höfische Bräuche, Ausübung großer Hofämter oder die Bürden hoher Staatsstellen als ergänzende Erziehungsmittel hinzukamen. Monsieur de Mortsauf war gerade in dem Augenblick ausgewandert, als diese seine zweite Erziehung hätte beginnen sollen; sie fehlte ihm. Er gehörte zu denen, die an eine schnelle Wiederherstellung der Königsgewalt glaubten, und dank dieser Überzeugung war sein Exil eine Zeit jämmerlichen Nichtstuns gewesen. Als die Armee Condés sich auflöste, in der er sich durch seine Tapferkeit außerordentlich hervorgetan hatte, rechnete er damit, bald wieder unter der weißen Fahne kämpfen zu können, und versuchte auch gar nicht, sich wie andere Emigranten durch Arbeit eine neue Existenz zu gründen. Vielleicht hielt ihn auch die Furcht, seinen Namen zu kompromittieren, davon ab, sein Brot durch entwürdigende Arbeit im Schweiße seines Angesichts zu verdienen. Seine immer auf morgen gerichteten Hoffnungen, vielleicht auch seine Ehre, hielten ihn davon ab, in den Dienst einer fremden Macht zu treten. Das Elend untergrub seinen Mut. Lange Märsche mit leerem Magen und am Ziel stets getäuschte Erwartungen schadeten seiner Gesundheit und entmutigten ihn. Nach und nach geriet er in die ärgste Armut. Während das Elend für viele Menschen ein Kräftigungsmittel ist, wirkt es auf andere zersetzend, und zu diesen gehörte der Comte de Mortsauf. Wenn ich an den armen Edelmann der Touraine dachte, wie er durch Ungarn streifte, einen Fetzen Hammelfleisch mit den Hirten des Fürsten Esterházy teilte, wie er sie als Fremdling um das Stück Brot bat, das der Edelmann von ihrem Herrn nicht angenommen hätte, und es manchesmal zurückstieß, wenn es ihm von Feinden Frankreichs geboten wurde, sooft ich daran dachte, schwand in mir der Haß gegen den Emigranten, selbst wenn ich sah, daß er sich in seinem Triumph lächerlich machte. Die weißen Haare Monsieur de Mortsaufs sprachen von gräßlichen Leiden, und ich habe zuviel Mitgefühl für den Verbannten, als daß ich ihn verurteilen könnte.... Die französische Heiterkeit versiegte beim Comte, er wurde mürrisch und krank und fand in irgendeinem deutschen Hospiz aus Gnade und Barmherzigkeit Pflege. Er litt an einer Bauchfellentzündung, einer meist tödlichen Krankheit, die im Falle der Heilung oft das Wesen eines Menschen verändert und häufig Hypochondrie zur Folge hat. Seine Liebesabenteuer, die tief in seiner Seele eingesargt waren und die ich allein entdeckt habe, wären niedrigster Art, sie zehrten an seiner Lebenskraft und lähmten ihn. Nach zwölf Jahren tiefsten Elends wandte er seine Blicke nach Frankreich, wohin zurückzukehren ihm Napoleons Dekret erlaubte. Als der kranke Wanderer

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