Die Lilie im Tal (German Edition)
dieses Bundes und drückte Clochegourde und der abergläubischen Seele der jungen Frau den Stempel unauslöschlicher Trauer auf. Die ersten Tage ihres Aufenthalts waren für die Comtesse die einzige, wenn nicht glückliche, so doch sorgenlose Zeit ihres Lebens.
Nach den Irrfahrten seines Aufenthalts in der Fremde war Monsieur de Mortsauf beglückt, eine milde Zukunft vor sich zu sehen, und es kam wie eine seelische Genesung über ihn. In diesem Tal atmete er den berauschenden Duft einer voll erblühten Hoffnung. Weil er immer rechnen und peinlich haushalten mußte, vertiefte er sich in die Vorbereitungen auf seinen neuen Beruf und fand einiges Vergnügen daran. Aber die Geburt Jacques' war ein Blitzstrahl, der zerstörend in Gegenwart und Zukunft fiel: der Arzt gab den Neugeborenen auf. Der Comte verschwieg der Mutter das Todesurteil. Dann ließ er sich selbst untersuchen und erhielt einen vernichtenden Bescheid, der durch die Geburt Madeleines bestätigt wurde. Diese beiden Ereignisse, eine Art innerer Gewißheit, die die verhängnisvolle Aussage bestätigte, verschlimmerten noch die krankhaften Anlagen des Emigranten. Sein Name würde auf ewig erlöschen. Eine reine junge Frau ohne Makel war unglücklich an seiner Seite, war den Qualen der Mutterschaft preisgegeben, ohne deren Freuden zu kosten. Dieser Humus seines früheren Lebens, aus dem neue Leiden keimten, lastete schwer auf seinem Herzen und vernichtete ihn vollends. Die Comtesse erriet aus der Gegenwart die Vergangenheit und las in der Zukunft. Obwohl es nichts Schwereres gibt, als einen Mann, der sich schuldig weiß, glücklich zu machen, unternahm die Comtesse de Mortsauf diesen Versuch, der eines Engels würdig gewesen wäre. In einem Tage wurde sie stoisch. Nachdem sie hinabgestiegen war in den Abgrund, aus dessen Tiefe sie zum Himmel emporsah, widmete sie sich für einen einzigen Menschen dem Beruf, den die Krankenpflegerin für alle ausübt; und um ihren Mann mit sich selbst zu versöhnen, verzieh sie ihm, was er selbst sich nicht verzeihen konnte. Der Comte wurde geizig. Sie nahm alle ihr auferlegten Entbehrungen hin. Aber er lebte in der steten Furcht, hintergangen zu werden, wie alle, die aus ihrer Kenntnis der Welt nur Ekel geschöpft haben; sie blieb in der Einsamkeit und beugte sich ohne Murren seinen mißtrauischen Anwandlungen. Sie führte alle ihre Frauenlist ins Feld, um ihm den Willen zum Guten einzuflößen: so glaubte er eigene Gedanken zu haben und kostete Genüsse, deren er von Haus aus unfähig gewesen wäre. Dann, nach längerem Eheleben, beschloß sie, Clochegourde nie zu verlassen. Sie hatte die hysterische Natur des Comte erkannt, deren Willkür in einem Lande der boshaften Klatschsucht ihren Kindern hätte schaden können. Niemand ahnte die tatsächliche Unfähigkeit Monsieur de Mortsaufs. Sie hatte die Ruinen mit einem dichten Efeumantel umkleidet. Das unharmonische Wesen des Comte, der nicht unzufrieden, aber mißvergnügt war, stieß bei seiner Frau auf sanfte Nachgiebigkeit, und er stellte sich unter ihren Schutz, weil er bei ihr lindernden Balsam für seine geheimen Schmerzen fand.
Das alles ist eine kürze Zusammenfassung der Gespräche, die Monsieur de Chessel, seinem geheimen Unwillen nachgebend, mit mir führte. Seine Weltkenntnis hatte ihn einige der Geheimnisse enträtseln lassen, die in Clochegourde begraben lagen. Aber wenn es Madame de Mortsauf dank ihrer heldenhaften Selbstbeherrschung gelang, die Welt zu täuschen, so vermochte sie nicht, den untrüglichen Instinkt zu überlisten. Als ich allein in meinem kleinen Zimmer war, trieb mich die Ahnung des wirklichen Sachverhalts aus dem Bett; ich hielt es nicht aus, in Frapesle zu sein, Wenn ich anderswo die Fenster ihres Zimmers sehen konnte. Ich kleidete mich an, schlich mich hinunter und verließ das Schloß durch die Tür eines Turmes, der eine Wendeltreppe hatte. Die Kühle der Nacht beruhigte mich. Ich überschritt die Indre auf der Moulin-Rouge-Brücke und gelangte zum glückseligen Boot in der Nahe Clochegourdes, dessen letztes Fenster, nach Azay zu, beleuchtet war. Ich fand meine früheren Verzückungen wieder, aber sie waren friedlicher, und darin klang das Schlagen der Nachtigall, der Sängerin der Liebesnächte, deren langgezogene Töne über dem Wasser schwebten. In mir erwachten Gedanken, die gespensterhaft über meine Seele glitten, die Trauerschleier lüftend, die mir bisher meine schöne Zukunft verhüllt hatten. Seele und Sinne waren in gleichem Maße
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