Die Lilie im Tal (German Edition)
werde ich wissen, ob ich unrecht daran getan habe, Sie zu lieben.
An den Comte Felix de Vandenesse
»Lieber Comte, Sie besitzen von der armen Madame de Mortsauf einen Brief, der, wie Sie sagen, nicht ohne Einfluß auf den Lauf Ihres Lebens gewesen ist, einen Brief, dem Sie das Glück Ihrer Laufbahn verdanken. Erlauben Sie mir, Ihre Erziehung zu Ende zu bringen. Um des Himmels willen, legen Sie eine abscheuliche Gewohnheit ab, machen Sie es nicht wie Witwen, die immerfort von ihrem ersten Manne reden und den zweiten mit den Tugenden des verstorbenen geißeln. Ich bin Französin, lieber Comte, ich möchte den Mann, den ich liebe, ganz heiraten und kann doch wirklich Madame de Mortsauf nicht mitheiraten. Nachdem ich Ihren Bericht mit der ganzen Aufmerksamkeit, die er verdient, gelesen habe – und Sie wissen, wie sehr ich mich für Sie interessiere –, will es mir scheinen, als hätten Sie Lady Dudley über die Maßen gelangweilt, als Sie ihr die Vollkommenheiten der Madame de Mortsauf vorführten, und anderseits, als hätten Sie der Comtesse unrecht getan, ihr alle Freuden Ihrer englischen Liebe nahezulegen. Mir gegenüber haben Sie es an Taktgefühl fehlen lassen; ich habe kein anderes Verdienst als das, Ihnen zu gefallen. Sie haben mir zu verstehen gegeben, daß ich Sie weder wie Henriette noch wie Arabella liebe; ich bekenne meine Unvollkommenheiten, ich bin mir ihrer bewußt, aber warum sie mich so erbarmungslos fühlen lassen? Wissen Sie, für wen ich das allergrößte Mitleid habe? Für die vierte Frau, die Sie lieben werden. Die wird notgedrungen gegen drei Rivalinnen zu kämpfen haben. Auch muß ich Sie in Ihrem eigenen wie der andern Damen Interesse vor der Gefahr Ihres Gedächtnisses warnen. Ich verzichte auf den mühsamen Ruhm, Sie zu lieben: es wären zu viele katholische und anglikanische Eigenschaften erforderlich – und es liegt mir wenig daran, mit Schatten zu kämpfen. Die Tugenden der Jungfrau von Clochegourde würden die keuscheste Frau zur Verzweiflung bringen, und Ihre unerschrockene Amazone entmutigt die kühnsten Glücksträume. Was sie auch tun mag, eine Frau wird nie hoffen dürfen, Ihnen so viele Genüsse zu bereiten, wie Ihr Ehrgeiz verlangt. Weder das Herz noch die Sinne werden je über Ihre Erinnerungen siegen. Sie haben vergessen, daß wir oft zusammen ausreiten. Ich habe der Sonne ihren warmen Glanz nicht wiederverleihen können, den sie beim Tod Ihrer heiligen Henriette verloren hat. Sie würden an meiner Seite frösteln. Mein Freund – denn mein Freund werden Sie immer sein –, hüten Sie sich, noch einmal solche Bekenntnisse abzulegen, die Ihre Ernüchterung zeigen, fremde Liebe entmutigen und eine Frau an sich selbst irremachen. Liebe, teurer Comte, lebt vom Vertrauen. Die Frau, die, ehe sie ein Wort sagt oder aufs Pferd steigt, sich fragen muß, ob die göttliche Henriette nicht schöner sprach, ob die Reiterin Arabella nicht mehr Anmut besaß –: diese Frau, glauben Sie mir, wird in den Beinen und mit der Zunge zittern. Sie haben mir den Wunsch eingegeben, einige Ihrer berauschenden Sträuße zu empfangen, aber leider winden Sie keine mehr. So gibt es eine Menge von Dingen, die Sie nicht mehr zu tun wagen, von Gedanken und Genüssen, die Ihnen nicht wieder blühen können. Keine Frau, bedenken Sie das, wird in Ihrem Herzen die Tote wegschaffen wollen, die Sie dort aufgebahrt haben. Sie bitten mich, Sie aus christlicher Barmherzigkeit zu lieben. Ich kann eine Unzahl von Dingen aus Barmherzigkeit tun, das will ich zugeben, alles, nur nicht lieben!
Sie sind manchmal langweilig und gelangweilt, Sie nennen Ihre Traurigkeit Melancholie. Das ist alles schön und gut; aber Sie sind unerträglich und bereiten der Frau, die Sie liebt, grausame Sorgen. Ich habe zu oft zwischen uns beiden das Grab der Heiligen gefühlt, ich bin mit mir zu Rate gegangen, ich kenne mich und möchte nicht wie sie sterben. Wenn Sie Lady Dudley, die eine ganz hervorragende Frau ist, ermüdet haben, so fürchte ich, die ich nicht halb so wild bin, daß ich noch schneller erkalten könnte. Also streichen wir das Wort ›Liebe‹ in unsern Beziehungen, da Sie nun einmal Liebesglück nur noch mit Toten genießen können. Wir bleiben Freunde, damit bin ich einverstanden. Wie ist es nur möglich, lieber Comte? Sie haben früh im Leben eine göttliche Frau gekannt, eine unübertreffliche Geliebte, die an Ihr Fortkommen dachte, die Sie trunken liebte, die nur Treue von Ihnen verlangte, und diese Frau haben Sie zu
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