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Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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von England. König John I. mit nunmehr dreiunddreißig Jahren. Aber war das wirklich alles, wonach er sich gesehnt hatte?
    Er beobachtete seine Mutter und fragte sich, ob sie verstanden hatte, was er ihr in der Proklamation sagen wollte, die er erlassen hatte:
    »… Wir wollen, daß sie Herrin über alle Länder sei, die zum Königreich gehören, aber auch Herrin über uns und unsere eigenen Länder und Besitztümer.« Dieses Dokument hatte er diktiert, nachdem er von Joannas Tod gehört hatte. Joanna. Er hatte seine uneheliche Tochter nach ihr benannt, die nun zehn Jahre alt war. John hatte viele Bastarde, doch nur eine Tochter, und er liebte die jüngere Joanna sehr.
    »Ich habe Aenor seit einem Vierteljahrhundert nicht gesehen«, sagte Alienor plötzlich. »Es scheint unmöglich, daß es schon so lange her ist. Wie wohl ihre Kinder sein werden?«

    John hatte angeordnet, daß Hauptmann Mercadier Alienor begleiten sollte, was ihm die Bemerkung einbrachte: »Und wer schützt mich vor Mercadier?« Doch in Wahrheit war Alienor einigermaßen erleichtert über Mercadiers Geleitschutz. Sein Ruf war dermaßen furchteinflößend, daß er allein ihr wohl alle unternehmungslustigen Räuber vom Hals halten würde, und sollte es tatsächlich zu einem Angriff kommen, dann konnte sie sich auf seine Waffenkünste verlassen. Wie dem auch sein mochte, trotz Mercadiers großer Treue zu Richard konnte sie ihn nur mit innerer Abneigung betrachten. Sie war nicht zimperlich, was Tote anging, doch sie verabscheute sinnlose Grausamkeit wie den Tod des Armbrustschützen von Calus.
    Alienor verbrachte die Jahrhundertwende inmitten der Pyrenäen.
    Diese Reise war eine Herausforderung, genau das, was sie gebraucht hatte, und wenn sie die zu Eismassen erstarrten Wasserfälle in ihrer bestürzenden Großartigkeit sah, dann dachte sie nicht an die Vergangenheit, sondern an die Zukunft.
    Sie war sich durchaus im klaren darüber, daß das Reich der Plantagenets durch Philippe mehr als gefährdet war, doch sie hatte alles getan, was sie konnte, um es zu festigen, und was auch geschehen mochte, ihre Nachkommen würden sowohl auf dem Thron von Frankreich wie auch auf dem von England sitzen.
    Auf ihrer Reise nach Navarra für Richard war sie nicht so tief in das Innere Spaniens eingedrungen wie jetzt, und Alienor war glücklich über diese späte Gelegenheit. Es gab eigentlich kein Land in Europa mehr, das sie nicht kennengelernt hatte. Kastilien und seine Menschen erinnerten sie an den Süden Aquitaniens, und doch waren sie wieder ganz anders, und als sie am Hof ihrer Tochter in Burgos eintraf, konnte Königin Aenor eine Frau begrüßen, auf die ihr Weg wie ein Verjüngungsmittel gewirkt hatte.
    Aenor glich äußerlich von allen Plantagenets Henry am meisten, doch war ihr eine innere Ausgeglichenheit gegeben, die sie aus irgendeiner Seitenlinie geerbt haben mußte - oder vielleicht von ihrer Großmutter, die den gleichen Namen getragen hatte. Sie hatte, auch eine Seltenheit unter den Plantagenets, Glück und Zufriedenheit in ihrer Ehe gefunden und nicht weniger als elf Kindern das Leben geschenkt. Da sie nicht mehr damit gerechnet hatte, ihre Mutter noch einmal wiederzusehen, war sie von der Nachricht, Alienor komme selbst, um eine ihrer Töchter zu holen, überwältigt gewesen. Ihr Wiedersehen gestaltete sich dementsprechend stürmisch, und Aenors Kinder sahen verdutzt zu, wie ihre Mutter sich wie ein ausgelassenes junges Mädchen gebärdete.
    »Laß mich leben«, protestierte Alienor lachend.
    Aenors Gatte küßte ihr galant die Hand und versicherte, er sei vor allen anderen glücklich, die legendäre Alienor von Aquitanien kennenzulernen, deren Ruhm von der Themse bis an den Nil reiche.
    »Eine ein wenig verblichene Legende, fürchte ich«, erwiderte Alienor.
    Aenor gab zu ihren Ehren mehrere Feste, bei denen sie bewies, daß die kastilischen trobadors, die sie an ihren Hof gezogen hatte, den aquitanischen Troubadouren durchaus das Wasser reichen konnten. Es waren Tage voller Heiterkeit und vertrauliche Abende, an denen sie mit ihrer Mutter manchmal stundenlange Gespräche führte, die sehr ernst ausfallen konnten.

    »Und was kommt als nächstes?« fragte Aenor einmal neckend,
    »geht Ihr wieder auf einen Kreuzzug oder vielleicht ins ferne Cathay?«
    Alienor stützte das Kinn in die Hände. »Wer weiß, vielleicht. Aber ich glaube, die Zeit der Abenteuer ist für mich bald zu Ende. Natürlich kann unser aller Freund Philippe noch dafür sorgen,

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