Die Löwin von Aquitanien
sechzig Jahre zurück.
Als sie den Bürgern von Poitiers ihre Privilegien verlieh, hätte sie beinahe über die Ironie des Schicksals gelacht. Die Zeiten hatten sich so sehr gewandelt. Es war keineswegs uneigennützig von ihr, soviel Freiheit zu gewähren; es war vorausschauend. Denn wann immer der König ein Heer zusammenstellte, mußten seine adligen Vasallen ihrerseits Männer zu den Waffen rufen, deren Loyalität erst ihnen und dann dem Herrscher galt. Alienor änderte mit ihrer Befreiung der meisten Städte dieses System, denn als Gegenleistung verpflichteten die Bürger sich, sich von nun an selbst zu verteidigen, dem König aber bei Bedarf ihre Waffen zur Verfügung zu stellen. Und doch, als sie in der Kathedrale von Poitiers, wo sie vor so vielen Jahren zur Herzogin gekrönt worden war, die Dankbarkeit ihrer Stadt bemerkte, spürte sie nicht die Befriedigung eines Kalküls, sondern tiefe Liebe.
Sie hatten einen langen Weg gemeinsam hinter sich gebracht, Poitiers und sie, und die Stadt würde nun weiter aufblühen und gedeihen - ohne Abgabepflichten an die Adligen der Umgebung.
Zwei Tage, nachdem man sie in Poitiers stürmisch gefeiert hatte, traf sie in Niort auf ihre Tochter Joanna. Joanna war von den rebellischen Untertanen ihres Gemahls, des Grafen von Toulouse, in der Burg Casses belagert worden und hatte schließlich fliehen müssen.
Joanna war schwanger; dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren Augen ab, und sie sah so schlecht aus, daß Alienor zutiefst erschrak.
Gott, oder wer auch immer verantwortlich dafür war, konnte nicht auch noch Joanna fordern!
»Ich wäre nach Richards Tod sofort zu Euch gekommen«, sagte Joanna leise, »wenn ich es nur gekonnt hätte.«
»Ich weiß, mein Schatz.«
»Aber Ihr tragt es, nicht wahr? Manchmal glaube ich, Ihr seid wie ein Felsen, Mutter, ewig und unzerstörbar.«
»O ja - vor allem ewig«, entgegnete Alienor gedehnt. Mit einem Stirnrunzeln fügte sie hinzu: »In deinem Zustand ist es besser, du ruhst dich irgendwo aus, wo du nicht gestört wirst. Auf keinen Fall kannst du mit mir durch das Land ziehen.«
»Aber Mutter…«
»Ich will nicht, daß du irgendeine Gefahr eingehst.«
Am Ende wurde beschlossen, daß Joanna nach Fontevrault gehen würde, bis Alienor ihre Reise beendet hatte.
Am Ende ihres Zuges, der sie über La Rochelle und Saintes bis nach Bordeaux, in die Stadt ihrer Kindheit, geführt hatte, empfing sie Philippe von Frankreich. Er war dorthin gekommen, um seiner mächtigsten Vasallin den Lehnseid abzunehmen. Seit sein Vater Louis mit sechzehn Jahren in Bordeaux erschienen war, um seine Braut zu ehelichen, war er der erste König von Frankreich, den es hierher verschlug.
»Das«, bemerkte Saldebreuil de Sanzay, einer von Alienors ältesten noch lebenden Getreuen, »ist ein Anblick, wie er sich vielleicht nur einmal im Leben bietet.«
Im Palais Pombrière saß Philippe, den Alter und Krankheiten vor der Zeit hatten kahlköpfig werden lassen, in dem Prunksessel der großen Halle. Er trug den königlichen Purpurmantel, doch es entging ihm keineswegs, daß die schlanke, aufrechte Gestalt der Frau, die nun vor ihm niederkniete, ebenfalls in Scharlachrot gehüllt war.
Alienor legte, wie es bei einem Lehnseid üblich war, ihre Hand in die beiden des Königs von Frankreich. »Ich gelobe Euch Treue, mein König«, sagte sie klar, »für meine Domäne Aquitanien und alle Länder, die zu ihr gehören - und möge Gott mich strafen, wenn ich meinen Eid nicht halte.« Ihr spöttischer Blick kreuzte sich mit dem Philippes, als er sich vorbeugte, um sie, wie es einem Lehnsherrn geziemte, auf die Stirn zu küssen.
Diese alte Hexe, dachte er mit einem gewissen Maß an Bewunderung. Sie hätte ihm nicht deutlicher machen können, daß sie ihre Heimat fest im Griff hatte und keineswegs gesonnen war, sie Arthur zu überlassen, und da er ihren Eid entgegengenommen hatte, hatte er auch ihren Anspruch anerkannt. Ganz abgesehen davon, daß es wohl mehr als töricht gewesen wäre zu glauben, man könne dieser Frau Aquitanien nehmen, solange sie lebte.
Aber, sagte sich Philippe und lächelte sie an, das würde nicht für immer sein. Sie sollte ohnehin schon längst unter der Erde liegen, und eines Tages… und dann würde er die Plantagenets dahin zurück-zwingen, wo sie hingehörten - nach England. Schluß mit diesem Frankreich demütigenden Großreich. Er, Philippe, würde die Plantagenets auf ihren Platz verweisen und Frankreich zu einem mächtigen Reich
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