Die Löwin von Aquitanien
es einiges, meinst du nicht? Ich habe gehört, Philippe habe nicht sehr lange gewartet und Arthur und seine Mutter vorgeschickt, um Richards Erbe für sich zu beanspruchen.«
Johns Miene verdüsterte sich. »In der Tat«, erwiderte er, »und dieser Bastard Roches hat ihnen schon Stadt und Burg von Angers übergeben. Ich habe Mercadier hingesandt.«
Alienor verzog das Gesicht. »Die Aufgabe wird ihm gefallen. Ich muß zugeben, er ist ein guter Soldat, aber flößt einem ungefähr soviel Zuneigung ein wie ein reißender Wolf. Ist dir bekannt, was er getan hat, während Richard starb? Richard hatte dem Mann, der ihn getötet hat, vergeben, doch Mercadier ließ ihm bei lebendigem Leibe die Haut abziehen. Immerhin, Angers zeigt mir, daß ich mich beeilen muß. Richard hat dich zu seinem Erben ernannt, aber die Loyalität seiner Untertanen auf dich zu übertragen, ist ein zweites.«
»Während der letzten Jahre habe ich alles getan, um ihm nützlich zu sein«, brauste John auf, »einschließlich der Beteiligung an seinem Krieg gegen Philippe!« Er schaute seine Mutter an und fragte sich, wie sie es immer wieder fertigbrachte, ihn in die Verteidigung zu drängen.
»Gewiß«, sagte Alienor ein wenig spöttisch, »daran zweifelt auch niemand, aber um die Wahl zwischen dir und Arthur etwas zu erleichtern, werde ich durch meine sämtlichen Ländereien reisen und den Leuten nochmals den Vasallenschwur abnehmen.«
John begriff. Sie würde ihre gesamte Beliebtheit beim Volk für ihn in die Waagschale legen - wie sie es auch vor Richards Krönung getan hatte. »Das würdet Ihr für mich tun? « fragte er, sah sie an und verbesserte sich sofort bitter: »O ja, richtig, nicht für mich, sondern für die Sicherheit des Reiches und für Richard. Entschuldigt, daß ich gefragt habe.«
Alienor entgegnete nichts, noch wandte sie ihren starren Blick von John ab. »Ich kann nicht in Fontevrault bleiben«, sagte John unvermittelt, »das wäre ein zu großes Geschenk für Philippe. Meine Krönung als Herzog der Normandie ist in ein paar Tagen, und der Erzbischof von Canterbury bereitet mit William Marshall die Krönung in England vor.«
»Natürlich«, antwortete seine Mutter, »wir müssen uns wieder einmal alle sehr beeilen.«
John hätte um ein Haar die Hand nach ihr ausgestreckt, doch er unterdrückte den Impuls. Er konnte sich nicht erinnern, sie je von sich aus berührt zu haben. Eigentlich hatte er angenommen, es würde ihm ein wenig Frieden verschaffen, sie um ihren Richard trauern zu sehen, doch nun löste sie statt dessen Mitleid in ihm aus und den leidenschaftlichen Wunsch, sie daran zu erinnern, daß er für sie da war, der einzige von fünf Söhnen, der ihr noch geblieben war. Doch dann sagte er laut: »Wann werdet Ihr aufbrechen?«
»Sofort natürlich. Ich kann keine Beileidsbesuche mehr ertragen, und wenn ich noch eine Woche Berengarias Tränenausbrüche über mich ergehen lassen muß, werde ich verrückt. Sie ist sofort hierhergekommen, und seitdem versucht sie, Isolde nach Tristans Tod zu übertreffen.«
Es lag ihm Trost auf der Zunge, doch er konnte es nicht aussprechen. Herausfordernd fragte John, als wollte er, daß sie ihn ablehnte:
»Ihr wißt, daß ich deswegen zu spät hier bin, weil ich mir erst den Staatsschatz in Chinon übergeben habe lassen? «
»Was hättest du sonst wohl tun sollen?« versetzte seine Mutter in ihrem vertraut ironischen Ton. »Wenn Philippe ihn in Arthurs Namen beansprucht hätte, wäre das eine Katastrophe gewesen.«
»Gibt es irgend etwas, das ich für Euch tun kann?« brach es schließlich aus ihm hervor. In den Augen seiner Mutter mischte sich Erstaunen mit etwas Undeutbarem. »Nein, John, nichts. Nicht das geringste.«
Alienor hatte während der letzten Jahre Zeit gehabt, die Veränderungen im Land festzustellen, und sie wußte, daß es nicht einfach sein würde, ihre Untertanen an John zu binden. Während sie durch Aquitanien reiste, Stadt für Stadt, Ort für Ort, nahm sie nicht nur Huldigungen entgegen, sondern verlieh sehr vielen Städten auch die eigentlichen Stadtrechte - die Unabhängigkeit von der unmittelbaren Macht des Grafen, das Recht, sich als freie Stadt durch Bürgermeister und Stadtrat selbst zu regieren. Damit waren die Bürger nicht mehr ihrem Lehnsherrn, sondern der Herzogin von Aquitanien direkt unterstellt. Es waren dieselben Rechte, die sich beispielsweise Poitiers im ersten Jahr von Alienors Ehe mit Louis bei seinem Aufstand genommen hatte. Es lag etwa
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