Die Logik des Verruecktseins
Bühnenexplosionen geht, die den Erkrankten mit einer bestimmten Bühnenthematik fusionieren lassen, wurde bereits angedeutet. Die Fusionskonfusion entsteht dadurch, dass das Seelenlabyrinth selbst es ist, das die Welt entwirft und zur immanent erscheinenden Geltung bringt. Alles, was wir wahrnehmen - das zeigen, wie wir sehen werden, die schizophrenen Symptome -, ist aber nur eine aus uns heraus in die Welt geworfene Projektion der draußen stattfindenden Interaktionen, und die können mehr sein als das, was wir wahrnehmen, und sie können ebenso weniger sein. Eine der großen Leistungen des menschlichen Gehirns besteht dabei darin, dass es aus der Fülle an Informationen, die es verarbeitet, grundsätzlich sortieren und unterscheiden lernt: Was bin ich und was ist nicht ich. Dies erscheint uns selbstverständlich, aber nur deshalb, weil wir an diese Leistung des Gehirns so sehr gewöhnt sind. Ähnlich wie uns das Leben auf der Erde mit seinen Schwerkraftverhältnissen selbstverständlich erscheint, wir kennen ja keine anderen, erscheint uns die Divergenz zwischen Ich und dem Rest selbstverständlich. Erst wenn Menschen in Raumkapseln die Erde verlassen und sich weltraumkrank in der Schwerelosigkeit bewegen müssen, erlangen sie eine Anschauung über die Nichtselbstverständlichkeit der Schwerkraft und ihrer Kostbarkeit. Nur wer im Psychosevietnam war, weiß um die innersten Dinge. Wenn wir zuhören, was psychotische Menschen uns berichten, können wir von ihnen verstehen lernen und die Nichtselbstverständlichkeit unserer Ich-Schwerkraft würdigen lernen.
Komprimiert lautet die Botschaft: Wenn wir den Eindruck gewinnen, dass die Welt anschaulich in uns aufgenommen wird, ist es eigentlich immer so, dass wir die Welt aus uns heraus nach unseren Vorstellungen konstruieren. Der Projektionscharakter wird aber erst dann deutlich, wenn die Projektionsqualität zusammenbricht, was dann in der psychopathologischen Terminologie »psychotisch« genannt wird. Dann wird noch so viel erfunden, dass ich da bin, aber
das Gegenüberstehende fällt in mich hinein und fusioniert mit mir, die Ich-Welt-Diskrepanz geht damit verloren. Das Gehirn ist nicht mehr in der Lage, die zu verarbeitenden Informationen stimmig zu sortieren. Die Trennung von mir und dem Übrigen, was ist, war immer eine Illusion, sie kann in der Psychose nun nicht mehr erfolgreich generiert bzw. »erfunden« werden. Die höchste Fusionswahrscheinlichkeit besteht mit jenen Außenteilen, mit denen ich von meiner Veranlagung her Serienschaltungskompetenz habe, mit den anderen Menschen. Aber wir wollen doch strukturiert vorgehen und betrachten wieder die Bühnen von außen nach innen.
Fünfte Außenraumbühne
Mit dem ersten Draußensein beginnt die permanente Arbeit eines Menschen an der stufenweisen Eroberung der Außenraumbühnen. Die Ergänzer sind dem Kind der Weltfilter, der nur so viel zu ihm durchlässt, dass es sich geborgen und seinen Möglichkeiten entsprechend gefordert fühlen kann. Ergänzerfunktionen immer gewichtiger in sich selbst verankern können, ist die permanente Lebensaufgabe, die letztlich einer Arbeit an der permanenten Selbststabilisierung gleicht. Wie wir anfänglich zu den Eltern hinaufblicken, blicken wir auf der fünften Außenraumbühne stehend permanent nach oben und fühlen uns in einem Sinnraum zeltförmig geborgen, der zwar von real existierenden Ergänzern frei ist, für die meisten Menschen aber immer noch im Ergänzerecho der ersten Außenraumbeziehung steht: Der allmächtige Gott, der unendlich gütige Gott, der strafende Gott, der Er-hält-mir-die-Kränkung-der-Sterblichkeit-vom-Halse-Gott. Seit der aufklärerischen Säkularisierung ist der Sinnraum theoretisch mit allem auffüllbar, was dem Leben einen letzten Sinn geben kann: das Schicksal, das Karma, die Wiedergeburt, das Kunstschaffen, das Kollektiv, die Errettung der Welt vor der ökologischen Klimakatastrophe, der Glaube an die Evolutionstheorie - all das sind Spielarten einer Sinnstiftung, ohne die ein Mensch nicht leben kann. An ihnen hängt das Leben wie an einem Faden, der der erste ist und der letzte. 87
Entzündet sich hier das psychotische Feuer, geht es sofort existentiell um alles und nichts und somit um das große Ganze. Ungetrennt von mir fallen Notrufe aus dem Sinnraum in mich hinein. Die Weltkatastrophe steht unmittelbar bevor. Während die anderen taub sind und die Zeichen nicht zu deuten wissen, bin ich der Eingeweihte der Apokalypse und vielleicht ihr
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