Die Logik des Verruecktseins
Außenraumbühne zu stemmen, in der sich die anderen tummeln, hilft verhindern, dass diese quasidepressiv implodiert.
Vierte Außenraumbühne und ihre Maniepotenz
Die anderen sagen ja nicht direkt, was sie von mir halten. In ihren Blicken und aus ihren Taten und ihrem Über-mich-Sprechen muss ich mir aus vielen Einzelteilen ein stimmiges Bild zusammensetzen, wie sehr ich bewundert werde. Ein Blick, eine Geste, ein Wort verrät mir, was ihr eigentlich über mich denkt. Die Anerkennung und der Neid, das Loben und das Entwerten sind so nah verwandt, dass ich manchmal nicht mehr unterscheiden kann, ob ihr das eine oder das andere tut. Aber aus euren Worten höre ich heraus, auch wenn es nicht genau benannt, sondern nur angedeutet wird, wie großartig ihr mich findet. Wo ich entlanggehe, da steckt ihr doch die Köpfe zueinander und sprecht über mich. Manchmal erscheint mir euer Miteinander wie eine große Prüfung. Ihr verbringt eure Zeit damit, mich zu beobachten, um euch ein Bild darüber zu machen, was ich alles fertigbringen kann. Ihr habt etwas Großes mit mir vor, eine gewaltige Beförderung, wozu und warum, das weiß ich noch nicht, aber ich ahne, dass es um Großes geht. Deshalb lasst ihr mich mit eurer Neugierde keine Sekunde mehr aus den Augen und Ohren.
Fünfte Außenraumbühne und ihre Maniepotenz
Der Bühneninhalt wird hier von der Wand gebildet, die dann letztlich die Welt im Innersten zusammenhält. Stemmt sich das vom Implosionsuntergang bedrohte Ich erfolgreich gegen diese Wand, dann ist es selbst das, was die Welt im Innersten zusammenhält, dann ist dieses Ich zuständig für alles, was geschieht. Wer sich hier aufschäumt, der sagt nicht nur wie auf der vierten Außenraumbühne: »L’etat c’est moi«, »Der Staat bin ich«, der sagt jetzt: »Le monde c’est moi«, »Die Welt bin ich«. Gottgleich wird die Welt erlebt, Allmacht und Allwissenheit ist jetzt das zu leistende Alltagsgeschäft.
Manische Menschen, deren Maniethema sich auf dieser Außenraumbühne tummelt, haben dann den Eindruck, die ganze Welt zu beherrschen. Alles wissen sie im Voraus, die Welt hängt an ihnen wie
an einem seidenen Faden, dreht sich um sie, sie sind das Zentrum sämtlicher Geschehnisse, alles ist auf sie gerichtet und alles wird von ihnen verursacht.
Volumenfülle und Volumenmangel als Extrempole sozialer Navigation
Wir sehen: Volumenfülle und Volumenmangel des Selbstbewusstseins sind zwei Seiten derselben Medaille. Auch der manisch aufgeschlagene Selbstbewusstseinsschaum ist trotz seines Volumens hyperfragil und kann in das Nichts zusammenstürzen, aus dem Schaum ja größtenteils besteht. Schaum, der zum depressiven, fast ausdehnungslosen Ereignispunkt zusammengefallen ist, kann durch die Umstände, und seien sie noch so positiv, nicht mehr zu alter Ausdehnung aufgeschlagen werden. Wer depressiv ist, dem sind vor allem die positiven Unterstreichungen der anderen zuwider, der kann lange Zeit nicht einstimmen in die Werbefeldzüge für den Erfolg, den die anderen laufend in eigener Sache betreiben oder, seien sie Therapeuten, in der Sache des Patienten anzukurbeln versuchen. Trotz aller Krankheit und trotz dem nach außen vorgetragenen fehlenden Krankheitsbewusstsein der Maniker ahnen diese dennoch die Zerbrechlichkeit ihres Schaumgebildes, das sie mit aller Kraft und subjektiver Überzeugungssicherheit in die Welt schleudern. Im Innersten sind sie extrem einsame und bedürftige Menschen.
Dieses enge Verhältnis zwischen Volumenfülle und Volumenmangel des Selbstbewusstseins, das als Voraussetzung einer stimmigen sozialen Navigation unerlässlich ist und dynamisch-flexibel sein muss, kann sich also systemimmanent extrem polarisieren zur maniformen Enthemmung oder herunterstürzen zur depressiven, ultrastabilen Selbsthemmung. Psychische Gesundheit besteht dann, wenn aus dem Selbstbewusstseinsschaum durch die Selbstarbeit und das Einlassen auf die Beurteilungen der anderen eine sanft-stabile, homogene Schaummasse aufgeschlagen werden kann, die man selbst als etwas größer und etwas bedeutsamer einschätzt, als sie tatsächlich ist. Das
Tragen einer leicht rosa gefärbten Selbstbeurteilungsbrille ist gesund. Aber nicht immer und jedem gelingt das.
Psychische »Krankheiten«, die sogenannten affektiven Störungen, sind beim Misslingen die Folge. Sie sind als Risikooption der Preis, den unsere Gattung dafür bezahlt, in geteilten sozialen Räumen leben zu können und leben zu müssen. Den Risikopreis bezahlt dabei
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