Die Lucifer Direktive
erschöpft. Von den letzten achtundvierzig Stunden hatte er nur vier geschlafen, und der Streß machte sich bemerkbar. Die Jahre im Kibbuz waren erfüllt gewesen von faulen Tagen und schläfrigen Nächten. Die plötzliche Rückkehr zu einem Lebensstil eines vergangenen Jahrzehnts traf sowohl seinen Körper als seine Seele wie ein Schock.
Er hatte sein Leben völlig in die Hände dieses mysteriösen Felix gelegt, und bislang hatten diese Hände ihren Job, ihn sicher nach Amerika zu bringen, versiert erledigt.
Von Al-Jauf waren sie mit dem Truck gen Norden gefahren, zur Ölraffinerie von Mersa Brega. Dann folgte eine lange und gefährliche Strecke über fünfhundert Meilen auf der Küstenstraße nach Tripoli. Nach einem kurzen Aufenthalt flogen sie mit einer Frachtmaschine nach Sfax. Jetzt waren sie beide mit dem Zug nach Algier unterwegs. Felix hatte alle seine Männer in Tripoli zurückgelassen, ein Schritt, der das Maß ihrer Sicherheit um fünfzehn ausgezeichnete Soldaten verringerte.
»Warum Paris, Israeli?« fragte Felix in ihrem Einzelabteil und bezog sich damit auf das Ziel, zu dem Algier nur ein Zwischenaufenthalt war. Der Hüne trug sowohl Schwert als auch Gewehr immer griffbereit in einem Waffenkoffer bei sich. Seine beiden Pistolen steckten immer im Gurt. Seine vielen Messer und übrigen Waffen blieben in der Innenseite seiner Schaffellweste verborgen.
»Dort kenne ich einen Mann, der mir die spezielle Information geben kann, die ich brauche.«
»Der, den Sie von Tripoli aus angerufen haben?«
Sparrow nickte. »Ein alter Kumpel, der mir einen Gefallen schuldet.«
»Vielleicht kenne ich ihn.«
»Constantine Depopolis.«
»Ah, der einäugige Pirat der Meere.«
»Nicht mehr.«
»Aber jahrelang schipperten die terroristischen Waffenschmuggler in der Furcht vor seinem Geisterschiff umher, das irgendwo aus dem Nichts auftauchte und zielstrebig ihre Ladung über Bord gehen ließ.«
»Er ist jetzt in einer anderen Branche.«
»Eine, die ihm Zugang zu den Informationen über die Schlächter verschafft, die jene Kinder abgeschlachtet haben?«
»Zumindest eine.«
Felix beugte sich vor. »Scheint so, Israeli, als wären Sie hinter etwas her, was Sie schon wissen.«
»Ich muß sicher sein.«
»Das ist ein Luxus, den sich Leute unserer Couleur selten leisten können.« Felix beobachtete, wie Sparrows Brauen bei dem Wort ›unserer‹ zuckten. »Sie sind mir zu ähnlich.«
Sparrow streckte seine schwachen Muskeln und bewegte sein steifes Bein absichtlich nicht. »Nicht unbedingt.«
Felix lachte leise. »Der Körper, Israeli, das ist nicht so wichtig. Er macht gerade ein Drittel des wesentlichen Dreiecks aus, und die anderen beiden Beine – der Verstand und die Seele – sind für einen gewissen Samurai oder den berüchtigten Löwen der Nacht viel wichtiger, wenn sie den wahren Weg suchen. Und was Verstand und Seele betrifft, so sind wir uns gleich.«
»Was aber ist mit unseren Beweggründen?«
»Ich habe keine. Politik, Israeli, alles Politik. Überall auf der Welt töten die Menschen einander, weil der Gott des einen angeblich stärker oder die Lebensweise des anderen besser ist. Die Menschen versuchen, anderen ihre Vorstellungen aufzuzwingen, und wenn diese sich dagegen wehren, hören sie zu predigen auf und greifen zur Waffe. Die einzige absolute Wahrheit des Weges ist, daß es keine absolute Wahrheit gibt.«
»Zen?«
»Gesunder Menschenverstand. Etwas, das in Ihrer Welt ziemlich rar zu sein scheint.«
»Es ist auch Ihre Welt.«
»Nur aus Versehen.« Felix schlug sich auf die kräftige Brust. »Mein Lebensweg ist der Weg des Schwertes. Ich suche den inneren Frieden, aber rings um mich herum herrscht das Chaos. Alleine oben auf einem Berg zu leben, ist auch nicht die Lösung, denn früher oder später wird ein Mann mit einer Kanone heraufgeklettert kommen und ihn für sich und sein Volk beanspruchen, weil seine Lebensform die beste ist. Kanonen besitzen eine wunderbare Überzeugungskraft, meinen Sie nicht auch, Israeli?«
Sparrow nickte. »Und gerade im Moment spielt die ganze Welt Russisches Roulett.«
Kreischend kam der Zug im Bahnhof von Algier zum Stehen.
Sie nahmen ein Taxi zum Hafenviertel.
»Sie werden nirgends ein größeres Sammelbecken der Verlorenen dieser Erde finden«, sagte Felix. »Eine Zuflucht für die Gesetzlosen, die nichts mehr zu verlieren haben. Die Polizei hält sich da völlig raus. Morde sind an der Tagesordnung. Kriminelle und Killer laufen frei rum und haben
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