Die Lüge im Bett
Mittagsschlaf gönnen - trotz ihrer Haustierchen. Nina stochert mit dem Strohhalm in der Cola und nimmt noch einen Schluck. Sie wird heute nach den Dreharbeiten eine Caipirinha ausprobieren. Vielleicht versöhnt sie ein solcher Schlummertrunk ja mit ihrer krabbelnden Umgebung. Aus den Augenwinkeln beobachtet sie, wie Bernd nachbestellt. Es muß in der kurzen Zeit sein viertes, wenn nicht gar fünftes Glas sein. Ob er direkt in der Kakerlakenzentrale wohnt? Als König der Schaben und Kerbtiere?
Auf dem Weg in ihr Zimmer verlangt sie an der Rezeption nach dem Telefon und versucht noch einmal Sarah zu erreichen.
In der Redaktion ist nur noch Elke. »Wie vom Erdboden verschwunden«, sagt sie. »Wieso? Gibt's Probleme?«
»Probleme? Nein, überhaupt nicht!«
Bloß keine Probleme! Probleme signalisieren, daß man alleine nicht klarkommt. Nina hinterläßt ihre Telefonnummer und versucht dann Sven zu erreichen. Zu Hause springt der Anrufbeantworter an. Sie schildert kurz die Lage und legt auf.
Diesmal nimmt sie die Treppen. Das baut den Alkohol schneller ab, den sie trotz des winzigen Schlückchens spürt. In ihrem Zimmer schaut sie sich mit Bernds Unterlagen unter dem Arm skeptisch um. Nein, hier kann sie die nicht durcharbeiten, dazu graust es ihr zu sehr. Aber bevor der Regisseur eintrifft, will sie wenigstens wissen, worüber sie spricht. Zunächst einmal muß sie sich dringend umziehen. Der schwarze Anzug ist völlig fehl am Platz.
Sie hat eben, mit vorsichtigen Blicken auf den Fußboden, eine kurze, alte Jeans und ein T-Shirt übergestreift, da klopft es. Es ist Leo.
»Schreibst du für uns mal so 'ne Art Dispo, damit wir ungefähr wissen, wo's die nächsten Tage langgeht?«
»Ich muß mich erst selbst mal durch Bernds Material kämpfen und einen Überblick kriegen. Aber ich wollte gleich damit anfangen!«
»Gleich geht nicht - der Regisseur ist da. Heißt übrigens Nic Naumann. Er will dich im Frühstücksraum sprechen!«
Sagt Leo, und damit ist er weg.
Nina fährt sich kurz mit den Fingern durch die Haare. Jetzt muß sie auftreten wie eine Frau von Welt. Bloß keine Unsicherheit anmerken lassen, sie hat alles fest im Griff. Wie immer.
Sie klemmt ihre Papiere unter den Arm und geht nach unten. Schwungvoll öffnet sie die dunkelbraune Lacktür zum Frühstücksraum, setzt ein selbstsicheres Lächeln auf. Aber es erstirbt ihr sofort, ihr Herz schlägt schneller, ihr Adrenalinspiegel steigt, ihr Kopf wird heiß.
Er ist schwarzhaarig, trägt die Gesichtszüge von Rock Hudson in seinen besten Jahren und die Figur von Kevin Costner. Da steht er, der Mann ihrer Träume. Nina schmilzt auf der Stelle dahin. Liebe auf den ersten Blick, denkt sie und schluckt. Wenn er jetzt nicht schwäbelt oder sächsisch spricht, dann macht sie ihm sofort einen Heiratsantrag.
Er mustert sie freundlich, aber distanziert. Nina spürt, wie ihre Selbstsicherheit vergeht. Er reagiert überhaupt nicht auf sie. Sie begrüßt ihn und betrachtet geistesabwesend sein weißes T-Shirt und die schwarze, lange Leinenhose. Warum hat sie sich bloß umgezogen! Klar, daß sie in ihren alten Klamotten keine gute Figur macht. Und sie hat noch nicht einmal in den Spiegel geschaut. Sicherlich hat sie Schweißspuren auf ihrem Make-up, die Wimperntusche ist verlaufen, ihre Haare sind verklebt - und das schlimmste, sie hat gut drei Kilo zuviel auf den Knochen! Scheiße!
Leo kommt herein. »Ich dachte, es ist das beste, wenn ich mich dazusetze. Dann kann das Chaos seinen Lauf nehmen!«
»Chaos?« fragt Nic verdutzt. Seine Stimme ist tief, samtweich.
Ein Panther, denkt Nina und seufzt.
»So schlimm?« fragt Nic sie, und Nina nickt schnell.
Nic weiß von überhaupt nichts. Noch nicht einmal, daß eigentlich eine Sarah das Projekt vorbereiten sollte. Nina fällt aus allen Wolken: Nic wurde von Sarah überhaupt nicht instruiert. Ihr schwirrt der Kopf, sie muß Farbe bekennen. Es gibt kein Drehbuch, noch nicht einmal ein Expose. Es gibt nur ein Puzzle, zusammengesetzt aus Interviews mit Leuten, von denen Nina noch nie etwas gehört hat - das ist alles! Ein Dreh ins Blaue.
»Das kann ja heiter werden!« Nic lehnt sich in seinem Stuhl zurück, Leo schaut zur Decke, und Nina fühlt sich, typisch Frau, für den Schlamassel verantwortlich und schweigt schuldbewußt.
LAND UNTER
Spätabends kommt ein Bus, der sie zu der Sambaschule bringen soll. Als Nina erfährt, daß sie dazu in die Favelas, die Armenviertel von Rio, fahren müssen, ist sie freudig
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