Die Lüge
blubbern, den Frühzug vorbeifahren und im Geist Nadias Stimme. Es stach entsetzlich, weil es ganz danach aussah, als habe Nadia Trenkler nicht mehr von ihr gewollt als ein paar unterhaltsame Stunden, um vielleicht anschließend mit ihrem Mann über die Launen der Natur zu lachen. Tschüs dann!
Doch das war ein Irrtum. Schon wenige Tage später kam ein weiterer Brief von Nadia. Diesmal schrieb sie:
«Liebe Susanne,
bei mir liegt einiges, was ich nicht unbedingt brauche. Kein alter Plunder, bitte, versteh mich nicht falsch. Die Sachen sind in Ordnung, ich trage sie nur nicht mehr. Dir müssten sie passen. Ich will dir nichts aufdrängen, und du sollst dich nicht fühlen wie eine Almosenempfängerin. Wenn du nicht willst, sagst du einfach nein. Treffen wir uns doch wieder im Café an der Oper, Freitag, 15 Uhr,
Nadia»
Es war wieder Donnerstag, nicht viel Zeit, zu überlegen. Nur eine Nacht, um es zu überschlafen. Wollte sie Nadias abgelegte Kleider? Nein. Sie wollte Nadias Beruf, Nadias Auto, Nadias Geld. Nadias Leben.
Den Nachmittag verbrachte sie mit Gedankenspielereien. Am Anfang standen ein Waldspaziergang, ein dicker Knüppel oder Stein, eine eilig ausgehobene Grube im Unterholz und dann ein Unfall mit dem Porsche. Danach könnte sie Nadias Mann erzählen, sie habe eine totale Amnesie erlitten, und kurz darauf die Scheidung einreichen. Damit wären zweiFliegen mit einer Klappe geschlagen, sie müsste sich nicht mit einem Mann auseinander setzen, der keine Kinder wollte, und sie wäre ein Fahrzeug los, das ihr suspekt war. Seit Jahren hatte sie nicht mehr hinter dem Steuer eines Wagens gesessen. Da musste man nicht gleich mit einem Porsche anfangen.
Freitags kam sie etwas zu spät, weil Heller sie im Treppenhaus abfing. Er stellte sich ihr auf dem Absatz zwischen erstem und zweitem Stock in den Weg und erkundigte sich mit anzüglichem Grinsen, ob ihr nach den beiden Milchbubis nicht mal der Sinn nach einem richtigen Kerl stünde. Ständig erging er sich in der Vermutung, Johannes Herzog sei ihr Liebhaber. Heller hatte schon häufig von seinem Fenster aus beobachtet, wie sie sonntags in den BMW stieg.
Sie wollte an ihm vorbei. Er packte ihren Arm, hielt sie fest und brachte sein Gesicht nahe an ihres heran. Wie üblich stank er nach Schweiß und Bier, zischte die gewohnten Obszönitäten und versprühte dabei Speicheltröpfchen auf ihre Wange, die ihr einen Würgreiz verursachten.
Sie bat energisch, er möge sie loslassen, sie sei verabredet und in Eile. Er wurde wütend und bezeichnete sie als eines der Weiber, die den Kopf zu hoch trügen und völlig übersähen, dass sie auf dem Scheißhaus dieselbe Sorte Dreck hinterließen wie andere Leute. «Aber dich kriege ich noch», sagte er.
Nach dieser Drohung gab er ihren Arm frei, zeigte mit dem Daumen Richtung Haustür und forderte sie auf, sich zu beeilen, der Knabe warte bereits seit einer Weile. «Ich bin nur rausgekommen, um zu gratulieren. Im Gegensatz zu dem Kleinen in dem zerbeulten BMW macht der da draußen wirklich was her. Aber zu große Hoffnungen machst du dir besser nicht. Der Knabe weiß längst, dass du zwei Eisen im Feuer hast.»
Sie wusste überhaupt nicht, welchen Knaben er meinte, und sagte ihm das auch. Heller grub in seinem Gedächtnis und besann sich auf den Freitag, an dem er den jungen Mannvor ihrer Wohnungstür gesehen hatte. Sie begriff, dass er den Meinungsforscher für ihren Liebhaber hielt. Als sie ihn über seinen Irrtum aufklärte, tippte er sich an die Stirn.
«Mich kannst du nicht verarschen. Meinungsforscher! Bei mir hat er nicht geforscht. Er war nur bei dir, und das ja wohl nicht nur einmal. Sonntags hab ich ihn auch gesehen. Da warst du gerade weg mit dem anderen im BMW, hab ich ihm auch gesagt. Und seitdem kurvt der MG ständig in der Gegend rum.»
Ehe sie darauf etwas erwidern konnte, wurde im dritten Stock eine Tür geöffnet. Jasmin Toppler kam die Treppe hinunter. Heller trat einen Schritt zur Seite, um Jasmin vorbeizulassen. Sie nutzte die Gelegenheit und folgte ihrer Nachbarin nach unten.
Hellers Behauptungen hatten sie ein wenig verunsichert. So beiläufig wie möglich fragte sie, wie ein MG aussähe und ob Jasmin ebenfalls Besuch von einem Meinungsforscher erhalten habe. An dem Freitag Ende Juli war Jasmin nicht daheim gewesen, das wusste sie. Aber wenn es sich um eine wichtige Umfrage handelte, war der junge Mann vermutlich sonntags noch einmal gekommen, um berufstätige Hausbewohner
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