Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Vorwort
Oje, nicht schon wieder, werden Sie sagen, nicht schon wieder der Kachelmann. Sie haben so viel gehört, mehr als Sie jemals über mich erfahren wollten und sollten, ein paar Dinge, die wahr waren und sehr viele, die frei erfunden wurden.
Schon im Gefängnis war mir klar, dass ich ein Buch schreiben wollte (und vielleicht wäre ich schneller aus dem Knast gekommen, wenn ich es nicht so laut angekündigt hätte, um ein »Ich lass mich von euch nicht unterkriegen« zu demonstrieren). Ich hatte in den hun dertzweiunddreißig Tagen in acht Quadratmetern Mannheim viel Zeit, so viel Zeit wie noch nie, über mich nachzudenken. Über die Dinge, die ich in meinem Leben richtig gemacht habe und die Dinge, die ich falsch gemacht habe.
Die richtigen Dinge aufzuzählen wäre vermessen, womöglich sähe ich mich zu positiv im Rückblick und würde der Versuchung erliegen, mich Ihnen anzubiedern. Nichts läge mir ferner, ich will Sie ja nur einladen, dieses Buch zu lesen, das zu schreiben für Miriam und mich eine viel schwierigere Aufgabe war, als wir uns das ursprünglich gedacht hatten. Aber wir haben auch eine Mission, nämlich mitzuhelfen, dass das, was mir passiert ist, am besten niemandem nach mir passiert und dass die, die unschuldig wegen einer Falschbeschuldigung im Knast sitzen, bald ein neues Verfahren mit einem Freispruch bekommen.
Die Zahl an Falschbeschuldigungen dieser Art ist erschreckend hoch, Experten gehen inzwischen davon aus, dass eine womöglich deutliche Mehrheit aller Vergewaltigungsanzeigen auf keiner realen Basis be ruht – nicht selten liegen die Gründe dafür darin, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte in Deutschland unkritisch alles glauben, was ihnen da erzählt wird. Und selbst wenn sie es nicht tun, führt eine Falschbeschuldigung immer wieder zum Erfolg: Das wohl dramatischste Beispiel ist der Fall des Lehrers Horst Arnold, der unschuldig seine volle Strafe abgesessen hatte und starb, bevor die Justiz sich bequemen wollte, sich der Falschbeschuldigerin anzunehmen. Was der Spiegel in seiner Ausgabe vom 16. Juli 2012 darüber schrieb, ist symptomatisch: »Was passiert eigentlich Staatsanwälten, die ihren Job schlecht machen? […] Es passiert ihnen nichts. […] Was passiert Richtern, die […] Fehlurteile fällen? Ihnen passiert schon gar nichts.«
Beim Schreiben in den letzten Monaten kam ich zu der Erkenntnis, dass auch in Mannheim weder den Polizisten und Staatsanwälten noch den Richtern irgendetwas passierte. Egal wie fehlerhaft sie sich im Zusammenhang mit meinem Fall verhalten haben, ich weiß nicht, ob sie gelogen oder sonst die Wahrheit verbogen haben, um mir bewusst zu schaden, oder ob sie sich in etwas verrannt hatten und dann keinen Ausweg mehr sahen, außer den einmal eingeschlagenen Weg unter dem Beifall großer Teile der veröffentlichten Meinung immer weiter zu verfolgen, auch dann, als er sich als falsch erwies. Was ich aber weiß, ist, dass niemand dafür zur Rechenschaft gezogen wurde. Die meisten Beteiligten sind sogar befördert worden.
Andererseits gehört für mich zu meinem neuen Leben auch, das alte zumindest zur Kenntnis zu nehmen und zu wissen, dass ich eben früher Fehler gemacht habe. Ich hatte schon während der Olympischen Spiele in Kanada, wo ich mich bis zur Verhaftung aufgehalten hatte, Zeit zum Nachdenken und wusste, was ich wollte und nicht mehr wollte, sodass die anschließende Denkpause so recht gar nicht mehr notwendig gewe sen wäre. Aber sie war da, wenn auch ungerecht und zwangsweise – und im Gefängnis, umgeben von den vielen Kakerlaken, Ratten und Hakenkreuzen in der JVA Mannheim, ist die Erkenntnis weiter gewachsen (ich möchte nicht sagen, dass hundertzweiunddreißig Tage unschuldiges Sitzen für irgendwas gut sein können, aber wenn, dann dafür), dass nicht nur mein Leben, sondern auch ich selbst manchmal nicht so war, wie ich mir das wünschte und es richtig gewesen wäre.
Aber es gab nie Gewalt, Übergriffe, Jekyll und Hyde, Hebel, die sich umlegten, einen eiskalten Blick oder was auch immer mir in frei erfundenen Medienberichten angedichtet wurde. Die Fehler, die ich gemacht habe, waren andere und gehören in keinen Gerichtssaal: Ich habe über viele Jahre ein rastloses Leben geführt, habe mich im Beruf rumscheuchen lassen und war der falschen Meinung, dass das für das Wohlergehen der Firma notwendig sei. Ich habe immer wieder neue Menschen kennengelernt und nicht unterscheiden können oder wol len, wer und was gut
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