Die Luft, die du atmest
von tausend Diamanten. Glasscherben. So waren sie also hereingekommen.
Die Taschenlampe leuchtete in ihre Richtung, der Schatten dahinter groß und breit. Sie drückte sich an die Wand.
Die Polizei konnte sie nicht rufen. Und selbst, wenn es ihr irgendwie gelang, aus dem Haus zu kommen, gab es keine Nachbarn, die zu Hilfe kommen konnten. Außerdem konnte sie unmöglich die Kinder mit diesen Fremden allein lassen, nicht einen einzigen Augenblick. Sie war vollkommen ungeschützt. Nein, nicht ganz. Aber das brachte sie nicht fertig. Allein der Gedanke war beängstigend.
Vielleicht würden sie unten bleiben. Vielleicht würden sie sich damit zufriedengeben, die Lebensmittel und das Wasser zu klauen, und damit gut. Ihre gesamten Vorräte standen bereit, einladend in Beutel und Taschen verpackt. Sie konnten sie einfach nehmen und wieder in die Nacht verschwinden. Doch was sollte sie tun, wenn sie die Treppe heraufkamen, um sich umzusehen?
Das Schloss in der Schlafzimmertür war nutzlos, es würde nicht den geringsten Widerstand bieten.
Unten knarrten die Dielen. Möbel wurden bewegt. Was machten sie da? Warum beeilten sie sich nicht einfach und hauten wieder ab? Unentschlossen richtete sie sich auf. Eine Küchenschranktür knallte. Sie kam nicht mehr an ihnen vorbei. Wie viele waren es? Es klang nach mehr als einem. Und sie war allein. Aber nicht hilflos.
Leise schlich sie ins dunkle Schlafzimmer zurück.
Sie zog die Tür hinter sich zu. In der Stille klang das Klicken des Schlosses so laut wie Donner, aber von unten kam keine Reaktion. Es gefiel ihr gar nicht, hier im Zimmer zu sein, wo sie nicht mitbekam, was sie machten. Sie musste sich beeilen.
Ohne die Augen von der Tür zu wenden, schlich sie zum Schrank. Dort riss sie den Blick los und drehte sich um, kletterte auf einen Hocker und langte nach dem langen schlanken Gegenstand, der hinten im obersten Bord lag. Lebensmittel und Wasser waren nicht das Einzige, was sie bei Finn gefunden hatte. Sie zog den Reißverschluss auf und holte das Gewehr aus der Tasche.
Peter hatte ihr einmal gezeigt, wie es ging.
Das hier ist eine klassische Remington 870, eine Schrotflinte, Kaliber zwölf. Das Kaliber bezeichnet den Durchmesser des Laufs und die Größe der Patronen. Dies ist eine sogenannte Pumpgun.
Sie hatte keine Ahnung, was für ein Kaliber sie jetzt in der Hand hielt, aber eine Schrotflinte musste es wohl sein, sie würde also nach dem gleichen Prinzip funktionieren. Sie riss den Klettverschluss an der Seitentasche auf und erschrak bei dem Geräusch. Unten drin lag eine kleine schwere Schachtel.
Du schiebst die Patronen ins Magazin. Ein kleiner Widerstand verhindert, dass sie wieder rausrutschen. Versuch’s mal, Ann.
Sie sah sich das Gewehr näher an. Da war die Öffnung fürdie Patronen. Und dort musste sie ziehen, um sie hineinschieben zu können. Es machte hörbar
katschuk
. Ihr Herz machte einen Sprung. Sie sah sich um. Nichts war zu hören.
Ihre Hände waren schweißnass. Sie wischte sie an ihrem Sweatshirt ab. Was jetzt? Sie hatte nicht vor, nach unten zu gehen und die Männer zu stellen. Sie hatte nicht vor, ihre Kinder hier oben allein zu lassen. Sie wollte warten, bis sie gingen. Vielleicht waren sie schon weg.
Ein Geräusch drang durch die Heizungsschlitze. Lachen. Sie waren noch da, im Zimmer unter ihr. In ihrer Küche. In aller Ruhe trieben sie sich im Haus herum und stahlen ihren Kindern das Essen und das Wasser. Wieder gedämpftes Lachen. Sie wurden übermütig.
Das war genau die gleiche Sorte Menschen, die Peter auf dem Gewissen hatten.
Die Tür sprang auf, und sie stand im Flur, auf dem Weg zur Treppe. Es gab nur diese eine Treppe. Sie konnten nicht an ihr vorbei zu den Kindern.
Schubladengeräusche. Schritte. Leises Lachen.
Ein Mann kam aus dem Esszimmer, eine Plastikflasche am Mund.
Er sah sie im gleichen Moment wie sie ihn und erstarrte. Dann senkte er die Flasche, Wasser tropfte ihm über das bärtige Kinn. Er war dick gekleidet und hatte sich eine Wollmütze tief in die Stirn gezogen.
«Raus aus meinem Haus.» Ihre Stimme klang fremd, leise und unsicher. Ihr Herz pochte so laut, dass sie sich kaum hören konnte.
Er wischte sich mit dem Unterarm übers Gesicht. «’tschul digung . Wir wussten nicht, dass jemand da ist.»
«Raus, hab ich gesagt.»
Ihre Arme zitterten. Sie hatte Angst, dass ihr das Gewehraus der Hand fallen würde. Ihre Hände schwitzten. Sie hörte es hinter ihm klappern. Geschirr klirrte, Schranktüren knallten
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