Die Luft, die du atmest
Stille. Wasser schwappte an die hölzernen Pfähle und strich über die Kiesel am Ufer. Seile rieben quietschend über einen Bootsrumpf. Der Nebel verzog sich über den See. Er betrachtete das mit Raureif bedeckte Gras zu seinen Füßen und ließ den Blick über den Steg, das dunkle Wasser, den trübgrauen Himmel schweifen. Jetzt konnte er auch das Motorboot erkennen und die zwei Gestalten, die darin arbeiteten.
Einer der Männer blickte auf, als Peter näher kam. Breites Gesicht, kleiner Mund, weiße Locken unter einer dunklen Mütze. Als der andere sich umdrehte, entpuppte er sich als jüngere Ausgabe des ersten, der gleiche Mund, der gleiche Silberblick, nur das Haar war nicht weiß, sondern braun. Vater undSohn. Sie trugen warme braune Tarnjacken, Gummistiefel, dicke fingerlose Handschuhe. Peter war in den vergangenen Wochen so vielen argwöhnischen Männern begegnet, dass sie alle mehr oder weniger zu einer Masse verschmolzen waren, aber an diese beiden konnte er sich erinnern. Er hatte ihren Labrador untersucht, ein großes, schwerfälliges Tier mit braunem Fell und weißen Flecken an Schnauze und Schwanz und blühendem Ausschlag an der Bauchseite.
«Ach, Sie sind’s», sagte der Sohn. Er warf ein Seil über einen Pfahl und verknotete es. «Der Tierarzt.»
Eigentlich eher Wissenschaftler als Tierarzt, aber Peter korrigierte ihn nicht. «Wie war die Ausbeute?»
«Schlecht», erwiderte der Vater. «Ließ sich nichts aufscheuchen.»
Der Sohn zog kräftig am Seil. «Die paar, die wir erwischt haben, taugen nichts.»
Der Vater legte die Hand auf den Bootsrand und sah Peter an. «Ich nehme an, Sie wollen sie sich ansehen.»
Peter zögerte. Er war nicht von der Aufsichtsbehörde. Sein Forschungsstipendium deckte gerade so die Kosten für die Laborarbeiten und seine Doktoranden. Die Jäger gehörten nicht in seine Zuständigkeit.
Der Mann zuckte die Achseln. Er langte ins Boot und packte ein Federbüschel auf den Steg. Peter ging in die Hocke.
Vier kleine braunweiße Enten mit dem unverkennbaren blauen Fleck am Flügel. Der weiße Halbmond am Kopf wies drei von ihnen als Männchen aus. Normalerweise gab es Mitte November in Ohio keine Blauflügelenten mehr. Eigentlich waren sie um diese Zeit längst den Mississippi hinunter nach Südamerika oder über die Großen Seen zur Chesapeake Bay gezogen. Aber seltsam war nicht nur, dass sie hier waren, sondern auch ihr Aussehen. Wie stolz diese Vögel sonst die Brustvorwölbten! Diese wirkten, als hätte man ihnen die Luft abgelassen, die Flügel waren übergroß im Vergleich zu den eingesunkenen Rümpfen. Peter klappte seinen Werkzeugkoffer auf. «Wie sind sie geflogen?»
«Tief und langsam.» Der Vater warf ein zweites Seil über einen Pfahl und zog das Boot an den Steg. «Als wären sie betrunken. Leichte Beute.»
Normalerweise flogen sie in schnellem Zickzack. Peter streifte Handschuhe über, griff nach einem der Männchen und wog es in der Hand.
«Muss am Klimawandel liegen.» Der Sohn trat auf den Steg und hockte sich neben Peter.
«Oder an irgendeinem Gift.» Der Vater beobachtete Peter. «Was meinen Sie?»
«Schon möglich», sagte Peter.
Eine Futtervergiftung würde erklären, warum ihnen das Fliegen schwerfiel. Peter hob die Schwanzfedern an, um nach Anzeichen von Diarrhöe zu schauen, aber es gab keine. Als Nächstes tastete er vorsichtig den kleinen eingezogenen Kopf ab. Hier fand er Symptome. Ödeme am Kopf und, tatsächlich, kleine Blutungen am Augenlid. Er griff nach dem nächsten Vogel. Bei diesem waren die Schwellungen noch stärker. Mit wachsendem Unbehagen griff er nach der Stablampe in seinem Laborkoffer, sperrte der Ente den Schnabel auf, bog den Kopf nach hinten und leuchtete ihr in den Hals. Frische rote Flecken in blasser Umgebung. Beim dritten Männchen waren die Augen fast gänzlich zugeschwollen. Peter konnte sich nicht vorstellen, wie das Tier überhaupt noch hatte fliegen können. Das Weibchen hatte zwar weniger Schwellungen, doch ihre Augenlider waren stark gerötet. Diese Vögel waren sehr krank gewesen. Er fuhr mit dem behandschuhten Finger über den Flügel des Weibchens. Die braunweißen Federn waren hoffnungslos stumpf.
«Und?», fragte der Vater.
«Ein Virusinfekt oder ein Umweltgift», sagte Peter. «Ich werde ein paar Tests machen müssen.»
«Deswegen sind Sie doch hier, oder?», fragte der Sohn.
Sicher, aber er hatte natürlich gehofft, dass es nicht notwendig sein würde. Peter schraubte ein Proberöhrchen auf. Er
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