Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
andere Mal durchgestrichen und überschrieben worden war.
» Bonjour , Scarling!«
Scarlet drehte sich um und strich sich die Haare aus dem feuchten Nacken.
Emilie stand strahlend in der Tür. Ihre Augen funkelten geheimnistuerisch, offensichtlich lag ihr etwas auf der Zunge, aber als sie Scarlets Gesichtsausdruck sah, hielt sie an sich. »Was …«
»Ich möchte nicht darüber sprechen.« Scarlet drängte sich an der Kellnerin vorbei, um durch die Küche zurück zum Raumschiff zu gehen. Emilie schnalzte mit der Zunge und trottete hinter ihr her.
»Dann eben nicht. Ich bin froh, dass du gekommen bist«, sagte sie und hakte sich bei Scarlet unter, als sie die dunkle Gasse betraten. »Er ist nämlich wieder da.« Emilies engelsblonde Locken umrahmten ihr eher teuflisches Grinsen.
Scarlet nahm eine Kiste mit Pastinaken aus dem Laderaum und hielt sie der Kellnerin hin. Sie antwortete nicht, sie war unfähig, sich Gedanken darüber zu machen, wer er sein sollte und warum sie so betonte, dass er wieder da war. »Großartig«, sagte sie und lud Emilie einen Korb mit roten Zwiebeln auf.
»Erinnerst du dich wirklich nicht an ihn? Komm schon, Scar, der Straßenkämpfer, von dem ich dir vor ein paar … oder war das Sophia?«
»Ein Straßenkämpfer ?« Scarlet kniff die Augen zusammen. Sie hatte pochende Kopfschmerzen. » Ach wirklich , Em?«
»Sei doch nicht so blöd. Er ist wirklich süß. In dieser Woche war er fast jeden Tag da, und er setzt sich immer an einen meiner Tische. Das hat doch sicher was zu bedeuten, oder?« Als Scarlet nichts sagte, stellte die Kellnerin die Kisten ab und fischte eine Packung Kaugummi aus ihrer Schürzentasche. »Er ist nicht laut wie Roland und seine Kumpel. Ich glaube, er ist schüchtern … und einsam.« Sie steckte sich ein Kaugummi in den Mund und bot Scarlet eins an.
»Ein schüchterner Straßenkämpfer?« Scarlet winkte ab, Kaugummi half ihr jetzt auch nicht. »Was faselst du denn da?«
»Du musst ihn selbst sehen. Sonst kannst du’s nicht verstehen. Seine Augen sind einfach so …« Emilie fächerte sich Luft zu.
»Emilie!« Wieder erschien Gilles in der Tür. »Hör auf zu quatschen und mach, dass du reinkommst. Tisch vier ruft nach dir.« Er warf Scarlet einen wütenden Blick zu – eine stumme Warnung, dass er ihr noch ein paar Univs abziehen würde, wenn sie nicht aufhörte, seine Angestellten von der Arbeit abzuhalten. Er verzog sich, ohne ihre Reaktion abzuwarten. Emilie streckte ihm die Zunge raus.
Scarlet setzte sich einen Korb Zwiebeln auf die Hüfte, schlug die Frachtluke zu und schob sich an der Kellnerin vorbei. »Ist er Tisch vier?«
»Nein, er sitzt immer an Tisch neun«, murrte Emilie und hob das Gemüse hoch. Als sie durch die dampfige Küche gingen, rief Emilie plötzlich hinter ihr: »O Mann, bin ich bescheuert! Ich wollte dir doch schon die ganze Woche eine Tele wegen deiner Großmutter schicken. Gibt’s was Neues wegen Michelle?«
Scarlet biss die Kiefer aufeinander. Der Fall gilt hiermit als abgeschlossen . Die Wörter der Tele schwirrten ihr wie Hornissen durch den Kopf.
»Nichts«, sagte sie und versuchte gar nicht erst, die Rufe der Köche zu übertönen.
Emilie folgte ihr in den Lagerraum und setzte die Pastinaken ab. Scarlet beschäftigte sich mit den Kisten, damit die Kellnerin nicht versuchte, sie aufzuheitern, doch Emilie hatte schnell Trost parat: »Mach dir keine Sorgen, Scar. Sie kommt bestimmt bald zurück.« Und damit verschwand sie im Gastraum.
Scarlet tat der Kiefer weh, so fest biss sie die Zähne aufeinander. Alle sprachen vom Verschwinden ihrer Großmutter, als sei sie eine streunende Katze, die schon nach Hause kommen würde, wenn sie Hunger hätte. Mach dir keine Sorgen, Scar. Sie kommt bestimmt bald zurück.
Es waren jetzt aber schon mehr als zwei Wochen. Sie war einfach verschwunden – ohne eine Tele zu schicken, ohne sich zu verabschieden, ohne jegliche Nachricht. Sie hatte sogar Scarlets achtzehnten Geburtstag verpasst, obwohl sie schon die Zutaten für Scarlets geliebten Zitronenkuchen gekauft hatte.
Kein Landarbeiter hatte sie weggehen sehen, kein Arbeitsdroide hatte etwas Verdächtiges aufgezeichnet. Ihr Portscreen war noch da, aber weder in den Teles noch im Kalender noch in der Netz-Chronik ließ sich irgendein Anhaltspunkt finden. Allein, dass sie ihn nicht mitgenommen haben sollte, war verdächtig genug: Man ging doch nirgends ohne seinen Port hin.
Aber das war noch nicht das Schlimmste. Weder der
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