Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
ist, Sie all diese Jahre versteckt …«
»Schluss! Hören Sie auf!« Mit ihrer ramponierten alten Stahlhand umklammerte Cinder die brandneue Prothese, die der Arzt ihr mitgebracht hatte, und sah sich hektisch in der Zelle um. Ihr Atem ging stoßweise. Sie schloss die Augen und überließ sich dem Schwindelgefühl.
Sie war …
Sie war …
»Die Einberufungen«, flüsterte sie. »Sie haben sie meinetwegen erfunden, um mich in die Falle zu locken. Ein Cyborg … im Asiatischen Staatenbund.«
Als sie sich traute, Dr. Erland in die Augen zu blicken, sah er schuldbewusst aus. »Alle von uns mussten Opfer bringen, wenn aber niemand Levana Einhalt gebietet …«
Cinder ließ die neue Prothese fallen, hielt sich die Ohren zu und vergrub das Gesicht zwischen den Knien. Die Einberufungen. All die vielen Cyborgs. Und so viele Leute waren überzeugt, dass das richtig war, jedenfalls besser, als Menschen für dieses Forschungsprojekt einzusetzen.
Dabei hatte er einzig und allein nach ihr gesucht.
»Cinder?«
»Mir ist übel.«
Dr. Erland legte ihr die Hand auf die Schulter, aber sie schüttelte sie ab. »Das ist alles nicht Ihre Schuld«, sagte er. »Und jetzt habe ich Sie gefunden. Wir können anfangen, uns zu revanchieren.«
»Wie denn? Levana wird mich töten!« Verzagt hob Cinder den Kopf. »Warten Sie. Weiß sie es?«
Ihr Gedächtnis gab ihr die Antwort – Levana oben an der Treppe, verängstigt. Levana, rasend vor Wut. Wieder verbarg sie ihr Gesicht. »Himmel, sie weiß es.«
»Ihre Fähigkeiten sind einzigartig, Cinder, sie gleichen denen von Königin Channary. Levana wird sofort gewusst haben, wer Sie sind, aber ich bezweifele, dass sonst schon irgendwer darauf gekommen ist. Und Levana wird es für sich behalten, solange sie kann. Natürlich wird sie keine Zeit verschwenden und Sie so schnell wie möglich töten. Ich bin sicher, dass sie schon in diesem Moment ihren Abflug plant.«
Cinders Mund war trocken.
»Sehen Sie mich an, Cinder.«
Sie gehorchte. Obwohl die Augen des Arztes atemberaubend blau waren, voller Mitgefühl und sogar so etwas wie Trost, ahnte sie, dass er sie nicht zu manipulieren versuchte. Er war nur ein alter Mann, entschlossen, Königin Levana vom Thron zu stürzen.
Ein alter Mann, der all seine Hoffnungen in sie setzte.
»Weiß Kai Bescheid?«, flüsterte sie.
Dr. Erland schüttelte unglücklich den Kopf. »Ich komme nicht an ihn heran, solange Königin Levana da ist, und ich kann diese Nachricht wohl kaum in einer Tele verschicken. Levana würde Sie schon abholen lassen, bevor ich überhaupt Gelegenheit hätte, mit Kai zu sprechen. Und außerdem, was könnte er schon tun?«
»Wenn er es wüsste, würde er mich freilassen.«
»Und riskieren, dass Levana ihren Zorn gegen sein ganzes Land richtet? Levana würde eine Möglichkeit finden, Sie umzubringen, und zwar lange bevor Sie auch nur hoffen könnten, den Thron zurückzuerobern. Kai wäre ein Narr, wenn er etwas so Unüberlegtes tun würde. Er braucht erst einen Plan.«
»Aber er sollte die Wahrheit erfahren. Er hat nach ihr gesucht. Er hat …«
»Viele Menschen haben nach Ihnen gesucht. Aber Sie zu finden und Sie zur Königin zu machen, sind zwei unterschiedliche Ziele. Ich habe mich lange auf diesen Moment vorbereitet. Ich kann Ihnen helfen.«
Cinder starrte ihn an. Panik schnürte ihr die Kehle zu. »Mich zur Königin zu machen?«
Der Arzt räusperte sich. »Natürlich sind Sie jetzt ängstlich und verwirrt. Grübeln Sie nicht so viel. Ich bitte Sie nur darum, aus diesem Gefängnis zu fliehen. Weil ich weiß, dass Sie es können. Und nach Afrika zu kommen. Auf dem Rest des Weges nehme ich Sie an die Hand. Bitte. Wir können Levana nicht gewinnen lassen.«
Sie konnte nicht antworten, konnte überhaupt nicht begreifen, was er von ihr verlangte. Eine Prinzessin?
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich kann das nicht. Ich kann keine Königin oder Prinzessin sein – ich bin ein Niemand. Ich bin ein Cyborg!«
Dr. Erland faltete die Hände. »Wenn ich Ihnen nicht helfen darf, Cinder, dann hat sie schon gewonnen. Bald nimmt Königin Levana Sie mit. Sie findet einen Weg, um Kai zu heiraten und Kaiserin zu werden. Dann führt sie Krieg gegen die Union Erde und gewiss wird sie siegen. Viele werden sterben, der Rest wird versklavt, so wie wir Lunarier. Wenn Sie nicht anerkennen wollen, wer Sie in Wirklichkeit sind, steht uns allen ein trauriges, aber unausweichliches Schicksal bevor.«
»Das ist nicht fair! Sie können
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