Die Lust des Bösen
Leiter der Abteilung Sonderermittlungen beim LKA Berlin und stand kurz vor seiner Pensionierung. Er war das, was man eigentlich schon als Fossil bezeichnen konnte. Er gehörte einfach dazu wie ein geliebtes Inventar, auf das man nicht verzichten wollte.
Viel hatte er in seiner Dienstzeit schon gesehen, manches hatte ihn schaudern lassen und ihm einige Albträume bereitet, aber inzwischen war er mit sich und seiner Welt im Reinen. Nichts konnte ihn mehr so schnell aus der Ruhe oder aus seiner Fassung bringen.
Seine zwei Kinder waren aus dem Nest, sein Sohn studierte Jura in München und seine Tochter Medizin in Hannover. Seitdem war es ruhig geworden in dem Haus in Potsdam am Heiligen See, wo er mit seiner Familie lebte. Seine Frau hatte begonnen sich selbst zu verwirklichen, nachdem sie sich in den letzten Jahren ausschließlich der Familie gewidmet hatte: Sie studierte Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Harms konnte dabei zuschauen, wie sie sichtlich aufblühte und den Umgang mit den jungen Leuten genoss.
Auch für ihn würde sich nach der Pensionierung einiges ändern, und er wusste nicht, ob er sich darauf freuen oder lieber trauern sollte. Er wusste, dass er seinen Job vermissen würde. Während er diesen eher wehmütigen Gedanken nachhing, öffnete sich die Tür, und seine Assistentin Charline, eine junge, kecke Afroamerikanerin mit Rastazöpfen, betrat den Raum, um ihm die neue Profilerin Lea Lands anzukündigen.
»Herzlich willkommen!«, begrüßte er sie gleich darauf. Auch Lea freute sich – war es doch eine große Ehre, für ihn zu arbeiten. Viel hatte sie schon von ihm gehört, und Harms war eben eine Art Legende.
Aber der so Gelobte wehrte ab. »Glauben Sie bloß nicht alles, was man Ihnen hier so erzählt. Sie wissen ja, die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist. Machen Sie sich Ihr eigenes Bild. Kommen Sie«, bat er, während er sie eindringlich musterte.
Gut sah sie aus, die junge Kollegin, überlegte er. Ihr Gesichtsausdruck war ein wenig zu weich, aber er sah auch die Zielstrebigkeit in ihren Augen, und das gefiel ihm. Er war überzeugt, dass aus ihr einmal eine gute Profilerin werden konnte, wenn sie es schaffen würde, nicht alles zu nah an sich heranzulassen. Sie musste lernen, Distanz zu halten zwischen sich und den Fällen da draußen, den Schicksalen der Familien und ihrem eigenen Privatleben. Ja, die Distanz, das war das Wichtigste in ihrem Job. Profiler mussten abschalten oder vielmehr umschalten können und alles, was sie tagsüber gesehen und erlebt hatten, mit dem Verlassen des Polizeipräsidiums hinter sich lassen. Das brauchten sie, um ihre Seele zu schützen.
»So, hier sind wir«, meinte er nach einer Weile, »ich werde Ihnen jetzt Ihren Kollegen vorstellen.«
Max Hofmann, ein hochgewachsener, athletischer Mann Ende fünfzig, saß an seinem Schreibtisch und ackerte Berge von Akten durch, die sich über all die vergangen Monate angesammelt hatten. Etwas verloren sah er aus hinter diesen Papierstapeln, und er machte trotz seiner kleinen, schicken Lesebrille den Eindruck, als ob das nicht seine Lieblingsbeschäftigung war.
Der Abteilungsleiter begrüßte ihn lächelnd. Er wusste nur zu gut, wie sehr Hofmann diese Verwaltungsarbeit verabscheute. Aber sie gehörte nun einmal dazu – zu ihrem Alltag.
Nur langsam erhob sich der Kommissar von seinem Schreibtischstuhl.
»Darf ich dir deine neue Kollegin Frau Lands vorstellen?«, wandte Harms sich an ihn. Der Kommissar musterte sie ein wenig abschätzig, als wäre sie ein teures Rennpferd, das er auf einer Auktion erstehen wollte. Das Ergebnis seiner Taxierung konnte sie nicht nur an seinen Augen ablesen, sondern auch hören. Er fragte seinen Vorgesetzten doch tatsächlich, ob man jetzt schon Welpen einstellen würde – so jung und unerfahren, wie sie seiner Meinung nach war.
Ganz schön dreist, dachte Lea, wollte sich aber keinesfalls auf eine derart unschöne emotionale Diskussion mit ihm einlassen. Dennoch musste sie ihm zeigen, dass sie sich über seine unpassende Bemerkung ärgerte.
Sie sei jung, aber keineswegs unerfahren, entgegnete sie ruhig. Oder wolle er vielleicht hören, wie sie sich über einen älteren Kollegen ausließe, der sichtlich überfordert wirke, weil er ein paar Akten studieren müsse?
Harms konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Ich sehe, Sie werden sich bestimmt gut verstehen. Auf eine gute Zusammenarbeit, Frau Lands«, verabschiedete er sich, »und zögern Sie nicht, wenn
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