Die Lust des Bösen
Bunker, der direkt etwas mit dem Führer zu tun hatte …
Aber wie um alles in der Welt konnte er dort hinuntergelangen? Wo lag der Zugang zu diesem vergessenen Reich?
»Hans, was machst du da die ganze Zeit?«
Der Ruf seiner Freundin riss ihn unsanft aus seinen Gedan ken.
»Nichts«, entgegnete er und fuhr den Rechner schleunigst herunter.
»Na, für nichts machst du mir hier aber ganz schön hektische Bewegungen. Kannst du mir mal helfen?«
Nein, nicht schon wieder! Er wusste, dass er jetzt wieder den Küchendeppen für sie spielen musste: Kartoffeln schälen und Gemüse putzen. Wie sehr er das alles hasste, aber es hatte keinen Sinn, sich dagegen zu wehren. Wenn er nicht gleich zu ihr kommen würde, würde ihre Stimme jenen bestimmten Unterton bekommen, der keinen Widerspruch duldete. Und er kannte diesen Tonfall nur zu gut. Nichts konnte er ihr recht machen, und alles musste sie immer dominieren und kontrollieren.
Daniela liebte es, zu bestimmen – und sie bestimmte alles. Eigentlich war die blonde Mittdreißigerin eher unscheinbar und – wie man es ausdrücken würde – vollschlank. Aber so nichtssagend sie nach außen hin wirkte, so entschlossen war sie in ihren Entscheidungen. Widerspruch war zwecklos, das wusste Wenger. Daniela hatte schon immer ein wirklich gesundes Selbstbewusstsein gehabt, war von sich überzeugt und dabei intolerant und unflexibel allem gegenüber, was sie nicht kannte und für schlecht befand. Die Welt musste sich nach ihren Vorstellungen richten. Alles, was er sagte oder tat, war entweder falsch oder nicht gut genug. Er aß die falschen Sachen, trug die falschen Klamotten.
»Hans?«, hörte er schon wieder ihre Stimme, die er allmählich hasste.
Jeden Tag kostete es ihn mehr Kraft, die Aggressionen zu unterdrücken, die sich zunehmend in ihm aufstauten. Er fühlte sich wie ein Dampfkochtopf, in dem sich schon lange zu viel Hitze und zu viel Druck gesammelt hatten. Es brodelte in seinem Innersten – aber das Ventil, das den Überdruck ablassen konnte, fehlte. Irgendwann, das wusste er, würde er explodieren – mit einer Gewalt, die alles zerstörte.
»Ja«, antwortete er schließlich betont gelassen. Noch war der Siedepunkt nicht erreicht.
»Schau dir das mal an. Nennst du das etwa richtig geschält, die halbe Kartoffel hast du so weggeschnitten. Mensch, Hans, du lernst es aber auch wirklich nie. Alles muss ich selber machen. Du bist wirklich zu nichts zu gebrauchen!«
Stets aufs Neue schaffte sie es, ihm das Gefühl zu geben, ein Versager, ein Nichts und ein Niemand zu sein. Wie damals zu Hause!
Wenger war wohl das, was man einen ausgesprochenen Einzelgänger nennen würde. Schon früh hatte sich das abgezeichnet.
Sein Vater hatte sich nie für ihn interessiert; immer war er mit sich selbst beschäftigt gewesen. Bereits als Kind hatte Wenger schon die Leere empfunden, die heute sein Leben so sehr bestimmte. Obwohl er immer ein guter Schüler gewesen war, war er für seinen Vater nie gut genug gewesen. Wenn er Handball spielte und alle Väter in der Halle waren, um ihre Söhne und Töchter anzufeuern, dann war sein Vater nicht da. Kein Spiel hatte er begleitet, keinen seiner Siege mit ihm gefeiert. Es hatte ihn einfach nicht interessiert. Fast schien es Wenger, als ob er für seinen Vater überhaupt nicht existiert habe. Wahrscheinlich hätte er es nicht einmal bemerkt, wenn sein Sohn eines schönen Tages verschwunden wäre.
Diese Gefühle der Leere, der Machtlosigkeit und der Ohnmacht, die immer mehr von ihm Besitz ergriffen, waren bisweilen allgegenwärtig. Es war, als ob er nichts mehr empfinden konnte. Wenger war abgestumpft, und es schien, als ob sich sein gesamter Organismus einen Schutzmantel übergezogen hätte, der ihm die ständigen Verletzungen ersparte.
Auch in der Schule war es ihm nicht wirklich besser ergangen. Mit seinen Klassenkameraden war er nie warm geworden, denn er war lieber allein geblieben, als mit ihnen um die Häuser zu ziehen, Musik zu hören oder Mädchen anzumachen. Das hatte ihn nicht interessiert. Er lebte lieber in seiner eigenen Welt; hier konnte er sich zurückziehen, und nichts und niemand konnten ihn stören. Und so blieben seine sozialen Kontakte oberflächlich, blass und stumpf. Wenger hatte Angst vor der drohenden oder befürchteten Ächtung gehabt, und die war bei seinem seltsamen Verhalten auch nicht ausgeblieben. In der Schule hatte man ihn schon längst zum Abschuss freigegeben, einen Hanswurst aus ihm gemacht und ihn
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