Die Lust des Bösen
sie brauchte, um ruhig und analytisch ihre Arbeit zu tun. Kräftig genug, um das Opfer in Schach zu halten, waren die Männer ganz sicher. Die Frau dürfte, nach den Tatortfotos und dem Klang ihrer Stimme zu urteilen, nicht älter als Anfang zwanzig gewesen sein.
Der Professor, der sich inzwischen wieder zu seinem Kollegen gesetzt hatte, war zufrieden. Wenn Lea einmal in ihrem Element war, schien sie nichts aus der Ruhe bringen zu können, und das war gut. Er lauschte aufmerksam ihren Ausführungen: dass der Tatort ein Lieferwagen oder ein Transporter gewesen sein könnte, zumindest kein geschlossener, normaler Raum eines Gebäudes, und auf keinen Fall das Waldstück, in dem man die Frau gefunden hatte.
Lea hielt die Fotos ganz dicht vor ihr Gesicht.
Deutlich konnte sie erkennen, dass die Leiche in einem Laubwald platziert worden war. Die Gliedmaßen schienen unnatürlich verrenkt zu sein. Sie war nackt, beide Brüste waren scharfrandig an ihren Ansätzen abgetrennt. Ihre Beine waren weit auseinandergespreizt, ihr Unterleib förmlich aufgeschlitzt. Lea wandte sich einen Augenblick lang ab. Was für ein Mensch konnte so etwas nur getan haben?
Zwei Männer! So viel wusste sie von den Stimmen, die sie auf dem Band gehört hatte. Was aber hatte die Täter angetrieben? Wer oder was hatte sie zu den eiskalten Killern gemacht, die, ohne mit der Wimper zu zucken, das Leben einer jungen Frau ausgelöscht hatten?
»Vermutlich sind sie schon zuvor wegen Körperverletzung oder Vergewaltigung auffällig geworden«, kommentierte sie ihr Material weiter. Diese destruktive Energie musste sich langsam aufgebaut und gesteigert haben. Aber wo hatten sich die beiden Männer wohl kennengelernt? Möglicherweise im Gefängnis?
Sie überlegte einen Augenblick.
Ja, es war naheliegend, dass sie sich, während sie Haftstrafen verbüßten, angefreundet und dabei ihre verwandten Seelen entdeckt hatten. Lea überlegte weiter, ob das Interesse der Täter wohl schon damals jungen Frauen gegolten hatte. Doch das war kein normales Interesse, sondern eine dunkle Seite, die sich hier langsam Platz verschaffte – Stück für Stück, bis der Wunsch, Frauen zu beherrschen und ihnen Schmerzen zuzufügen, so stark geworden war, dass sie ihm nicht mehr widerstehen konnten. Man müsste demnach herausfinden, wann sie zum ersten Mal auffällig geworden waren und ob es möglicherweise mehrere solcher Fälle gegeben hatte.
Die Kommission hatte der jungen Wissenschaftlerin gespannt zugehört. Wie sie sich in die Seele der Täter versetzen konnte! Mit jeder Faser ihres Körpers war diese junge Frau bei den Mördern, versuchte zu erspüren, worum es ihnen ging und ob es wohl das einzige Opfer gewesen war, das sie gemeinsam umgebracht hatten.
Je mehr sie sich in den Fall versenkte, desto sicherer war Lea, dass es sich hier nicht um einen Einzelfall handelte. Nein, sie mussten es mehrfach versucht haben! Eine besondere psychologische Dynamik könnte bei den beiden eine Rolle gespielt haben, mutmaßte Lea Lands weiter: Während einer der Täter wohl eher Befriedigung darin fand, die junge Frau aus Spaß zu foltern und zu töten, ging es dem anderen wahrscheinlich primär um den Geschlechtsverkehr.
»Serienmörder sind ohnehin schwache Charaktere«, erläuterte sie – aber diejenigen, die Partner brauchten, um ihr Werk zu vollbringen, seien die Schwächsten von allen.
Erneut nahm sie das Foto vom Tatort in die Hand und betrachtete es eine ganze Weile. Sie tauchte in diese Welt ein, in den Wald, in die gesamte Szenerie, und in ihrem Kopf nahm der Tathergang Gestalt an.
Vielleicht hatte einer der beiden Männer der Frau befohlen, sich zu entkleiden. Anschließend hatte er sie dann im Wagen vergewaltigt. Ja, so musste es gewesen sein, überlegte Lea. Währenddessen stand vermutlich sein Komplize draußen vor dem Fahrzeug und verlor allmählich die Geduld. Nach etwa fünf Minuten könnte der Vergewaltiger aus dem Wagen gestiegen sein, was auch das Geräusch der schlagenden Tür erklären würde, das sie auf dem Band wahrgenommen hatte. Er machte Platz für seinen Freund, und wenig später hörte man die furchtbaren Schreie des Mädchens, das einen letzten, einen aussichtslosen Kampf zu führen schien.
Ein Knacken war auf dem Band zu hören, dann ihre verzweifelten Schreie: »Nicht meinen Hals!« und »Oh, mein Gott!«
Danach war plötzlich alles still.
»Vermutlich ist der Vergewaltiger wieder zurück in den Wagen gekommen, als sein Komplize ihr die Kehle
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