Die Lust des Bösen
durchgeschnitten hatte«, legte Lea ihre Gedanken dar. »Es war vermutlich eine verdammte Sauerei. An den Wänden des Wagens, auf dem Boden und auf der Kleidung ihres Mörders, überall muss ihr Blut gewesen sein.
Das Durchtrennen der Kehle war aber nur die Ouvertüre, sozusagen das Vorspiel. Darauf lassen die Bilder schließen. Erst danach lebte er an seinem Opfer all seine Aggressionen und Fantasien aus, die er bisher in sich angesammelt hatte«, mutmaßte sie weiter. »Dann löschte er ihre Weiblichkeit aus, indem er ihr mit dem Messer die Brüste abschnitt, und entfernte anschließend ihre Eierstöcke, wie wir hier auf dem Tatortfoto sehen.«
»Worauf deutet dieses Vorgehen des Täters hin?«, unterbrach Schneider ihre Ausführungen.
»Das Verstümmeln von Leichen ist immer ein Zeichen eines desorganisierten Persönlichkeitstyps«, antwortete sie. »Aber diesem Täter ging es primär darum, dem Opfer sämtliche weiblichen Geschlechtsmerkmale und damit seine weibliche Identität zu rauben.«
Während ihrer Ausführungen war Lea ununterbrochen im Raum umhergegangen. Nichts war mehr zu spüren von ihrer anfänglichen Nervosität und ihrer Unsicherheit. Vor der Kommission stand eine selbstbewusste junge Frau, die sich an diesem Fall festgebissen hatte.
Jetzt unterbrach sie der Vorsitzende, bedankte sich sichtlich zufrieden, blickte kurz in die Runde zu seinen Kollegen und erntete freudiges Kopfnicken. Dann folgte der erlösende Satz:
»Sie haben bestanden!«
Er wünschte ihr Erfolg, Kraft und vor allem, dass sie sich bei allem, was sie tat, ihren unvoreingenommen Weitblick bewahren möge.
Lea war überglücklich. Kurzerhand umarmte sie den etwas steif wirkenden Professor, der plötzlich so gar nichts Raubvogelhaftes mehr an sich hatte. Ein wenig musste sie grinsen – sie hatte eine lebhafte Fantasie, die manchmal mit ihr durchzugehen drohte. Impulsiv und emotional, so war sie eben.
Bereits morgen würde sie ihren Dienst als Profilerin beim LKA Berlin antreten. Ihr neuer Chef, Holger Harms, hatte viel Vertrauen in sie gesetzt, und sie hatte ihn ja nun Gott sei Dank auch nicht enttäuscht. Versagen kam für sie nicht in Frage. Sie war Perfektionistin und übertrug diesen hohen Anspruch an sich selbst auch auf ihre Umgebung. Die Begleiterscheinung dessen war, dass sie es besonders in ihrem Privatleben nicht immer leicht hatte. Aber das war ein anderes Thema. Jetzt wollte sie einfach nur ihr Glück genießen und feiern. Und zum Feiern kam nur eine in Frage: ihre Freundin Patrizia.
Gut gelaunt verließ sie die Universität in Richtung Parkplatz gleich hinter dem Hauptgebäude, schwang sich auf ihre geliebte vivid-black-farbene Harley »Softail Convertible«, ließ den Motor an und fuhr los.
Diese Harley war für sie nicht einfach nur ein Motorrad. Sie war ein Lebensgefühl – ein Symbol für Freiheit. Nichts war vergleichbar damit, das Geräusch des Motors, seinen Sound zu hören und seine Kraft zu spüren. Sie mochte ihr Bike mit all seinen Macken. Genau das war es, was es so liebenswert machte. Und während sie durch die Straßen Berlins fegte, schweifte sie ab in eine andere Zeit ihres Lebens. Eine Zeit, in der sie auf der Suche gewesen war – auf der Suche nach Liebe.
Damals, Mitte der neunziger Jahre, war sie gerade achtzehn gewesen und wollte nichts lieber als auf Entdeckungsreise gehen, weg von zu Hause, um sich hinein ins Abenteuer Leben zu stürzen. Und dann war Er aufgetaucht – obwohl groß und muskulös, war er rein optisch kein typischer Frauenschwarm. Sein Gesicht hatte nicht die feinen Züge und vollen Lippen, die Frauen so sinnlich finden. Vielmehr schien es über die Jahre hart geworden zu sein, und seine braunen Augen verrieten ein hohes Maß an Entschlossenheit. Aber wenn er dann lächelte, versprühte er einen ungeheuren Charme. Ein Blick in diese Augen hatte Lea damals genügt, um sich Hals über Kopf in ihn zu verlieben – in ihren Fahrlehrer, der zwanzig Jahre älter war und eigentlich ihr Vater hätte sein können.
Von jungen Männern hatte sie damals genug gehabt, und der Altersunterschied hatte sie nie wirklich gestört. Ganz im Gegenteil: Er wirkte so selbstsicher, lebenserfahren und weise. Vielleicht war es das, was sie bei ihm suchte. Bei einer Überlandfahrt hatte es dann gefunkt. Schnell hatte sich aus dem anfänglichen Geplänkel eine elektrisierende Spannung zwischen ihnen entwickelt. Dieses Gefühl, das sie so sehr verunsichert und das sie dennoch so genossen hatte. Noch
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